Kriegschronik von Oberndorf Teil XV.

Berichte aus Briefen der Kämpfer VI.

Von dem Lehrer der hiesigen protestantischen Schule, Ebersold, der beim Beginn des Krieges als Vizefeldwebel zum 8. bayerischen Reserveregiment, 1. Kompanie, einrückte, gelangten Nachrichten hierher, aus denen das Folgende mitgeteilt wird:

8. September 1914. Die besten Grüße aus dem Schützengraben am Waldesrand, wo ich inmitten meines Zuges liege. Sie wissen gar nicht, wie unendlich wohl dem rauhen Krieger bei seiner Blutarbeit heimatliche Klänge tun. Darum besten Dank für Ihre und meiner Schüler Grüße. Es ist dies für uns ein erhebendes Gefühl, uns von denen zu Hause umsorgt zu wissen und der Eifer und die Begeisterung, mit der in der Heimat die Arbeiten für uns besorgt werden, macht uns die Erfüllung unserer harten Pflicht leicht. Eine harte Pflicht ist und bleibt es. Nicht frischfröhliche Feldpflichten sind es, die gewaltige Lücken reißen. Metz – Mörchingen war im Verhältnis zu unseren jetzigen Kämpfen ein fröhlicher Wandertag. Er kostete uns 2 Tote und 5 Verwundete. Der Ansturm westlich Luneville aber vom 26. August nahm uns 39 Verwundete und 2 Tote, die Vermißten gar nicht gerechnet. Tag für Tag sind wir im Granatfeuer der schweren französischen Festungsartillerie, gegen die die unserige bis jetzt verhältnismäßig wenig ausrichten konnte. Nun, wir haben ja den Gegner auch blos in der Front zu beschäftigen, bis er von hinten auch gefasst werden kann. Hoffentlich ist uns dann einmal wieder eine Feldschlacht beschieden! Bei jeder Arbeit für die Verwundeten und Kämpfenden sollen nur meine Schüler mithelfen. Jetzt darf ihnen nichts, aber auch gar nichts zu viel sein.
Nach den Kämpfen bei Mörchingen und westlich Luneville kam das Regiment zunächst bei Metz in Ruhestellung. Von dort schreibt am 18. September Ebersold: Schleunigst soll diese Karte den Dank aus unserem Rastort östlich Metz für die süße Fürsorge (Schokolade) ins stille Alsenztal tragen. Durch den steten Verkehr mit der Heimat bleibt man immer bodenständig und im Gegensatz zu dem Söldner, der irgendwo in der Luft hängt, weiß man: Es geht für König und Vaterland, für die Heimat, die unser Nährboden ist und die uns Kraft und Begeisterung zu neuen Kämpfen, zu neuem Aushalten nach der Ruhe gibt. Morgen wird es wahrscheinlich nach unbekannten Orten weitergehen und 8 Tage wird es mit der Besorgung der Post windig bestellt sein. Vom Festungsbereich im östlichen Frankreich wurden wir am 11. September abgelöst, wie das ganze II. bayerische Armeekorps. Hier haben wir das herrlichste Leben und da eben unsere Post aus der Heimat haufenweise ankommt, fühlen wir uns verhältnismäßig mollig.
Carnoi, 8. Oktober 1914
Gestern abend erhielten wir auf der Höhe etwas rückwärts von hier die Post und wurden dabei durch französische Granaten, die nicht weit davon das Schlachtfeld nach lebenden deutschen Kriegern absuchten, recht unliebsam gestört und konnten deshalb nicht alles erhalten, sondern mußten noch vieles im Postsack beieinander lassen. Immerhin bekam ich soviel, daß mir es immer wärmer wird bei den vielen immer wiederkehrenden Beweisen davon, daß die Unseren zu Hause mit ihren Sorgen, Wünschen und ihrem Hoffen bei mir sind und den Krieg mitfühlen, soviel es möglich ist.
So merkten wir wohl, daß hinter unseren Linien noch eine große Schar guter Geister liebreiche Hilfe leistete. Dank allen, die geben, mithelfen, mitsorgen, mithoffen, mitbeten. Wir sitzen in schlechtangelegten, engen Schützenlöchern, ohne eigentlich die Möglichkeit zu besitzen, auch gleich eine vernünftige Schützenlinie zu bilden. Wir können nicht beobachten, dürfen nicht raus, wissen nicht, ob der Gegner herankommt oder nicht. So sind wir hier die Ungewissheit in Person und liegen zu einem, zu zweien und dreien in einzelnen Löchern und rufen uns leise gegenseitig zu. Das ist alles, was wir voneinander wissen. Heute abend sollen wir abgelöst werden und zurück in Ortsunterkunft kommen. Im Festungskrieg wird nämlich alle drei Tage abgelöst und hier haben wir gegenwärtig soviel als möglich Feldstellungen gebaut.
Ginchy, 11. Oktober 1914
Hier in Nordfrankreich sind wir beim zunächst noch sichernden Gefecht in befestigten Feldstellungen bei Amiens, immer 2 Tage in vorderster Linie im Schützengraben, 2 weitere als Unterstützung etwas weiter dahinter im Durchgangsgraben und endlich 2 Tage etwas weiter rückwärts zur Ruhe, die wir gestern und heute genossen haben und bis zum Eintritt der Dunkelheit heute Abend noch genießen. So erleben wir dann heute den ersten Sonntag während des Feldzuges in richtiger Stille. Man hat wirklich das Bedürfnis nach solchen Punkten innerer Sammlung und Rückschau. Dann geht es wieder mit neuer Kraft und neuem Mute an reiche Arbeit.
Ginchy, 17. Oktober 1914
Nun wird sich der Krieg doch wohl noch etwas mehr in die Länge ziehen, als unser Kaiser meinte (bis Herbst). Die 100 000 Mann, die zu Schiff aus Antwerpen ausflitzten und nun irgendwo auftreten, kosten uns wohl 4 weitere Wochen zum allermindesten. Auch dadurch, daß Verdun immer noch nicht gefallen ist, wird der Kampf etwas langwierig. Erst dachte ich, wir kämen ohne Winterkleidung aus. Diese Hoffnung habe ich jetzt begraben.
22. Oktober
Sehen Sie, so wissen wir uns im Felde zu helfen. Da ich keine Feldpostkarte mehr habe und mein Unwohlsein mir nicht Zeit zu einem längeren Briefe lässt, so müssen die beiden Pappdeckel, die zum Einpacken der zwei Schokoladetafeln verwendet waren, den Dank für die liebevolle Sorge in die Heimat tragen.
Lille – Gestern wollte ich kräftig Briefe schreiben, mindestens 5: Aber ich mußte aus einer Vorstadt von Lille hinein nach Lille, eine Brille kaufen, weil die meine in Kaiserslautern zur Ausbesserung sich befindet und über meinen Zwicker das II. bayerische Armeekorps hinwegmarschiert ist.
Lille – Militärlazarett Saal 4, 6. November 1914.
Westwärts „Comines“ gings wieder ins Gefecht mit Engländern, Indiern und Franzmännern. Die Indier scheinen sich in den letzten Tagen verzogen zu haben. Die Engländer halten aber wider Erwarten noch feste Stand. Es geht eben mit Hochdruck an die Arbeit, stehts Sturm, Gefecht u.s.w. Langsam kommen wir zwar immer vorwärts, wenn auch unter großen, sehr großen Opfern. Dabei wurde ich zur Abwechslung gar, als sich am 3. November nachmittags unser Leutnant krank meldete, Kompanieführer. Wir standen östlich Hollebeke unter der 7. Infanteriebrigade und gehörten zu einem zusammengestoppelten Batallion  von 3 Kompanien, dessen Führer Leutnant Mannweiler aus Kalkofen (später gefallen) war. Bald aber kam der Abmarschbefehl: Das kombinierte Batallion marschiert auf Ostereete zur Verfügung der Gruppe Mark. Als wir gegen Abend diesen Befehl ausführten, traf uns unterwegs ein anderer Befehl der Division, der besagte, daß nur die beiden Kompanien des 5. Regiments gegen Ostereete vorrücken, die 1. Kompanie des 8. Reserveinfanterieregiments aber sich in Hollebeke der Brigade zur Verfügung zu stellen habe. Diese Streiter befanden sich in Schützengräben am Rande des Parkes, der zu dem Schlosse westlich Hollebeke gehört. 2 Züge schanzten sich als Unterstützung ein und den dritten brachte ich in dem Keller eines Gartenhauses in der Nähe des Parkrandes unter. Wieder waren wir wie so oft anderswo nötiger und so telefonierte die Division, daß wir früh 4. November nach Ostaveete zu marschieren und uns unserem Batallion zur Verfügung zu stellen hätten. Vorm Abmarsch zerschlug ein Jäger in dem Gartenhaus einen Kasten, die Franzmänner wurden aufmerksam, salzten mit Schrapnells tüchtig herüber und da gerade ein solches Biest über mir platzte, als ich zum Kellerloch hinein den Abmarschbefehl wiederholt hineinrief, so bekam ich 5 von den vielen in einem solchen nicht süßen Zuckerhut befindlichen Kugeln ab. Doch konnten sie nicht eindringen, da das Geschoß zu hoch geplatzt war und die Kugeln ihre größte Kraft eingebüßt hatten. So habe ich dann nur leichte Prellungen am linken Arm und an der linken hinteren Halsseite davongetragen, die so schnell behoben sein werden, daß ich, wenn dieser Brief in Ihre Hände gelangt, wahrscheinlich schon wieder bei der Truppe bin.
Brombach bei Lörrach – Baden, 15. November 1914.
Erst Feldlazarett Comines, kein Platz, dann Kriegslazarett Lille, ebenfalls kein Platz, jetzt Reservelazarett Brombach. Da rät mir der Arzt noch etwas länger zur Heilung und Erholung zu bleiben und jetzt will ich nicht. Morgen gehts zum Ersatzbatallion in Zweibrücken. Vielleicht bekomme ich dort einige Tage Urlaub in die Heimat, damit ich einmal wieder die Plätze sehe, um die ich mich geschlagen habe und in höchstens 14 Tagen wieder schlagen werde.
Auf der Fahrt nach Flandern teilte Ebersold seine kriegsmäßige Trauung mit einer Tochter der hiesigen Gemeinde mit, diesselbe fand in Zweibrücken statt, unmittelbar vor Abgang der Jäger, der ihn wieder ins Feld und zwar nach Comines in Nordfrankreich brachte.
Comines, 23. Dezember 1914.
Heute Abend, eigentlich also vorhin, hatten wir in der großen Halle der Weberei, wo die Webstühle sich befinden, in dem breiten Gange in der Mitte unsere Weihnachtsfeier für das Batallion. Dabei wurde gar mancher mit dem Eisernen Kreuz bedacht, darunter auch ich. Doch bitte ich, von jeglicher Veröffentlichung dieser Auszeichnung Abstand zu nehmen.
An Weihnachten Frieden? Ich weiß nichts davon, glaube auch nicht daran, so sehr ich es auch hoffe. Die letzten 3 Tage im Schützengraben und dann die 3 darauf gefolgten im Deckungsgraben sahen garnicht danach aus. Und wir rücken morgen Abend, just am heiligen Abend auf 2 Tage in den Schützengraben, um dort Weihnachten zu feiern.
Comines, 8. Januar 1915.
Gestern Morgen, also an Königs Geburtstag, hatten wir auf dem Platze vor dem hiesigen Rathause Parade, die in gruppenweisem Vorbeimarsch an unserem Kronprinzen Rupprecht bestand. Am Nachmittage leerten wir dann bei der Kompanie eine Flasche Münchner und vervollständigten den herrlichen Genuß dadurch, daß wir vom Marketenderwagen Knackwürstchen erstanden, die als warmes Würstchen das Getränk von der Isar in herzinnig willkommenen Festzug in den Magen begleiteten. Dort war eitel Freude über diese recht deutsche Mahlzeit in Feindesland. Am Abend zuvor hatte auf dem selben Platze, wo die Parade gewesen, eine Serenade stattgefunden. Von den Ansprachen hatten wir natürlich herzlich wenig, da wir sie nur bruchstückweise hören konnten. Dafür war das Spiel der vereinigten Regimentsmusiken für uns ein ganz herrlicher wie seltener Genuß. Diese innigen deutschen Weisen in einem Augenblicke der Ruhe und Sammlung in solch hervorragender Wiedergabe sind eine Erquickung der Gemüter, daß man sich nach solch rauhen Tagen wieder einmal als Mensch fühlen kann – Augenblick! Nach Feldhühnchennudelsuppe gehts weiter – Fein war sie und großartig hat sie geschmeckt, die Nudelsuppe nämlich und gleich kommt das von meinen Hausleuten, bei denen ich hier für die Tage der Ruhe in Einzelunterkunft untergebracht bin, zubereitete Mittagsmahl. Also die Semmel. Das markige „die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ und das vertrauensvolle „Wir treten zum Leben vor Gott den Gerechten“, jedes eine erhebende Andacht und selbst der Präsentiermarsch erschien mir als eine Herzenserfrischung. Ich will noch schnell der Strickgesellschaft (Schulkinder) einen Feldgruß schreiben und derweil wirds so allgemach Zeit, sich für den so nassen Schützengraben bereit zu machen.
Liebe Strickgesellschaft! Ich weiß es wohl, ihr seid ihn leidig, den gar so langen Krieg, bei dessen Anfang manche glaubten, das in drei Wochen, höchstens aber 3 Monaten sein Ende unbedingt da sein müßte. Woher sollten sonst für den Krieg der Neuzeit die vielen Menschen und das viele Geld kommen? Und nun sind über 5 volle Monate blutigen Ringens vorüber und noch immer ist kein Ende abzusehen. Immer neue Massen wälzen sich einander entgegen. Selbst Weihnachten mit seiner liebevollen Engelsbotschaft brachte ihn nicht, den allseits erwarteten Fieden, auf den Ihr zuhause innig hofftet und hofft und nach dem ein tiefes Sehnen durch die Reihen der Krieger geht. Und so gehen wir hinein in das neue Jahr mit dem alten Streit, mit der alten Blutarbeit. Möge sie recht bald ein Ende mit schönem Erfolg finden. Weil Ihr aber an Weihnachten mit lieben Gaben unser Gedacht, so will ich Euch von unserer Weihnachtsfeier hier in Comines erzählen. Wie es bei Euch war, Ihr wisst es, nicht wie sonst. Bei uns? Nun hört zu: Da wir gerade am heilgen Abend zur Wache gegen die Franzosen auf 3 Tage in den nassen, schmierigen Schützengraben zu rücken hatten, so wurde unsere Weihnachtsfeier im I. Batallion auf den Abend des 23. Dezember vorverlegt und die vier Kompanien versammelten sich in dem breiten Gange zwischen den Webstühlen der Maschinenhalle der Weberei Derville zu Comines, um einen geschmückten Tannenbaum, der in der Mitte auf einem Tische stand. Der Ständer war recht kriegsmäßig aus Hufeisen zusammengeschmiedet. Eine Sängerschar übte einige Lieder, bis die hohen Vorgesetzten kamen. Als die erschienen wurden sie mit „Stillgestanden“ empfangen. Nach dem „rührt euch“ trugen die Sänger ein Weihnachtslied „Oh du fröhliche“ vor und diesem folgten Ansprachen des protestantischen und katholischen Feldgeistlichen, sowie unseres Batallionskommandeurs. Daraufhin kam das Altniederländische Volkslied „Wir treten zum Beten“ an die Reihe und jetzt verteilte der kommandierende General nach entsprechenden Worten an die vorher an die Front gerufenen für tapferes Verhalten vor dem Feinde Eiserne Kreuze und beglückwünschte sie dazu. Nach dem Lied „Stille Nacht“ und der Wacht am Rhein nahm er Abschied und der Brigadegeneral richtete noch einige Worte an uns, die in der Mahnung gipfelten, auch unter den schwierigen Verhältnissen wie bisher aus- und durchzuhalten. Damit war die eigentliche Feier vorbei und die Kompanien konnten in ihre Unterkunftsräume gehen, vor die Berge von Weihnachtsplätzchen und -päckchen aus der lieben Heimat verteilt wurden. Nun aber schnell Schluß, es geht wieder in den Schützengraben. Herzliche Grüße von Eurem Friedrich Ebersold.
Antring, 21 März 1915.
In der Nacht vom 7. auf 8. März wurden wir aus der Front westwärts Comines herausgezogen und durch die 18er abgelöst. Wir kamen dann noch 2 Tage in Unterkunft nach Frercoung und marschierten dann am 10. des Monats hierher in ein liebliches kleines belgisches Städtchen. Seitdem genießen wir eine wohltuende Waffenruhe. Nicht einmal schießen hören wir es hier. Nur wenn wir auf die Höhen bei den beidenSchlössern gehen, hallt dumpfer Kanonendonner von Ypern und Arras herüber. Da wirds einem schwül und man steigt schnell wieder hinunter in den Bereich friedlicher Töne. Meine Nerven sind auch nicht mehr so wie am Anfang des Feldzuges. Am 27. Februar schlug sogar eine 7,5 cm Granate im Schützengraben vor Wytschaete in meinen Unterstand und platzte, während ich alleine darin lag. Außer einigen Ritzerchen auf der Außenseite der rechten Handfläche blieb ich völlig unverletzt und konnte nach wie vor meinen Dienst versehen. Mit verschiedenen anderen Regimentern bilden wir nun eine neue, die 10. bayerische Infanteriedivision, nachdem wir am 4. März aus unserem alten Verband, dem II. bayerischen Armeekorps ausgeschieden sind. Für immer werden wir ja nicht hierbleiben, wann und wohin es aber losgeht, kann ich freilich nicht sagen.
Lindau, Villa Regina, 19. April 1915.
Eben kam ich von dem zweistündigen Dienst der Schützengrabenaufsicht zurück. Die Ortsangabe bezeichnet den Schützengrabenabschnitt unserer Kompanie. Dieser Name kommt von unseren Vorgängern, den 20ern, die wir in der Nacht vom 31.3. auf 1.4. ablösten und die den Namen ihrer Garnisonsstadt auf ihren Kompaniebereich übertrugen. Der Laufgraben, der in unser Lindau hineinführt, ist der „Lindauer Weg“. Aber auch jeder Unterstand ist eigens benannt. So hause ich in Villa Regina. Die verschiedensten Villen sind hier. Auch eine „U 9“, eine „Emden“, ein „blutiger Knochen“ (mit den Kammstücken) und eine „Zollgrenze“ am linken Ende des Abschnitts. Der „Eiffelturm“ ist der erhöhte Artilleriebeobachterstand auf der großen Straße St. Quentin – Amiens, die schnurgerade beide Städte verbindet. Wir liegen genau in der Mitte zwischen diesen beiden Städten, zwischen unserer Ortsunterkunft Estree und Foucancourt, das schon in französischen Händen ist. So ist unser Lindau eine unterirdische Stadt in Frankreich. Der Schützengraben und die Laufgräben sind die Straßen und die Unterstände die Häuser, die je ein Zimmer aufweisen, das ist aber auch ein wirkliches, richtiges Zimmer. Nach und nach wird es immer wohnlicher hier drin. Schon das ich Sie mit Tinte und Feder aus dem Unterstand grüßen kann, wird Ihnen den gewaltigen Unterschied zwischen Wytschaete und hier etwas vor Augen führen. Hier sind Besuche, wie der am 27. Februar einfach unmöglich. Eine 7,5 cm Granate schlägt solch starke Eindeckungen nicht durch. Da müßten schon 15er kommen oder der schmale Laufgraben müßte so ein gefährliches Osterei aufhalten. Dann könnten aber höchstens nur Splitter hereinkommen. Von der Granate am 27. Februar hätte ich sehr gern vollständig geschwiegen. Aber da in dem Unterstand gegenüber ein mannweilerer Kind lag, als sie den meinigen zusammenhaute, so wußte ich ja schon, daß die Kunde doch nach Hause komme. Wie aber solche Nachrichten zum Schlusse aussehen, das merkt man an den Mordgeschichten, die gestern Abend von unserem Abschnitt erzählt wurden: 14 Tote hat die Kompanie, die mit als erste ablöst. In Wirklichkeit aber hatte sie nur einen einzigen Verwundeten und jener schon gleich an dem Abend, als wir zum letzten Male in Ortsunterkunft zurückgingen. Solche Ungeheuerlichkeiten, die meistens von den Mutigen hinter der Front, bei der Feldküche oder sonst woher kommen, schlägt man am besten mit der Wahrheit tot.
Estrie, 27. Mai.
Etwas Gutes hat das Durcheinander bei Arras doch gehabt: Das verfluchte, blödsinnige Exerzieren hört wenigstens auf und an seine Stelle tritt kräftige kriegsmäßige Arbeit. Wir bauen nämlich unsere Stellungen sehr stark aus. Als wir kamen, hatten wir nur einen einzigen Schützengraben mit den in diesen hineinführenden Laufgräben. Jetzt sind bald 5 Linien vollständig fertig, manche mit sehr starken Drahthindernissen. Tagtäglich wird daran gearbeitet und zwar nicht nur von uns, den „ruhenden“ Truppen, sondern auch von unserer Sanitätskompanie, die in dieser Stellung erfreulicherweise sehr wenig zu tun hat in ihrem Berufe, und eingekleidetem ungedientem Landsturm. Diese Brüder bilden natürlich einen ganz herzzereißenden militärischen Verein und es kann uns kein Mensch verdenken, daß wir den Ortsbewohnern beizubringen versuchen, es seien gefangene Russen. Jetzt darfs auch einmal ein bisschen krumm gehen. Dann wird der Schaden doch nicht gar so schlimm. Wenn die Verhältnisse links oder rechts einmal ein Zurückgehen unvermeidlich machen sollten, dann kann man sich doch gleich wieder festsetzen und Widerstand leisten und ist doch nicht einfach dem gegnerischen Eisenhagel preisgegeben, ohne sich verteidigen zu können. Sie dürfen nun aber  nicht glauben, daß wir an ein Zurückgehen denken, ohne daß es unbedingt nötig wäre. O nein! Im Gegenteil! Vor einigen Tagen bestellte ich bei unserem Versorgungsoffizier dünne Leinwand, um die eine Wand und die Decke meines Unterstandes damit auszuschlagen. Die Tapeten, die ich irgendwo aufgetrieben habe, langten blos für drei Wände. Für die vierte erwischte ich nun einmal nichts mehr. Es will sich rein garnichts finden, höchstens Kalk. Etwas Ölfarbe bin ich auf der Spur. Die wird aber zu gut bewacht. Wenn sie einmal niet- und nagellos sein sollte, dann ist sie mir natürlich lieber als die Leinwand. Einmal an Wand und Decke gestrichen, kann sie mir ruhig beschlagnahmt werden. Auf einen Käufer mehr oder weniger kommt es ja hinten am Ende auch nicht an. Dafür wohnt man auch wieder angenehmer. Wir dürfen uns ja wohl schon recht Dauerhaft einrichten, denn so schnell wird der Rummel noch nicht zu Ende sein, besonders jetzt, wo die Schufte jenseits der Alpen ihr Land unbedingt an Deutschland angliedern wollen. Das geht natürlich nicht so schnell. Erst müssen die Russen aus Galizien hinaus. Dann dürfen sie die Ostseeprovinzen räumen und sich ein paar mal „umgruppieren“, bis ihnen der Schnaufer ausgeht. Nachher gehts nach Calais. Die Kranken und Erholungsbedürftigen kommen jeweils nach dem Süden. Oberitalien ist ja wie geschaffen dafür. Auf jeden Fall hat sich der hinterhältige Vertragsbrecher schwer verrechnet. Es dauert freilich jetzt etwas länger, dieses Ringen um unser Sein. Aber am Ausgange kann auch dieser Zuwachs im Schufteverband unserer Gegner nichts ändern. Das schönste wäre ja, wenn schließlich Italia dem Schachspieler Grey nicht mehr nützte als Portugal.
Als der gute Anfang am Dunajec einsetzte, hofften wir in einem Vierteljahr mit unseren Gegnern fertig und in einem Halben zuhause zu sein. Jetzt geht es natürlich so schnell nicht, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Vielleicht kümmern sich an einem schönen Tage Vesuv und Ätna ob solch herrlicher Bundestreue um die, die in ihrer Umgebung wohnen, die Hauptsache aber werden wir schon selber schaffen. Dem bisherigen innigsten deutschen Wunsche „Gott strafe England“ tritt nun ein weiterer zur Seite: „Der Teufel hole Italien“.
19. September. Inzwischen war Ebersold zuhause.
Mit dem Wiedereingewöhnen ist es diesmal so eine ganz eigene Sache. Wie Blei liegt es mir in den Glieder und der Dienst ruft mich zurück. Dabei ist es mir aber körperlich ganz wohl. Innerlich aber bin ich mit der herben Kunde aus dem Osten (sein Bruder war dort gefallen), die mir bei meiner Rückkehr aus dem Urlaub auf dem Fuße folgte, immer noch nicht fertig geworden.
1. Oktober: Er erhielt zum Eisernen Kreuz das bayerische Verdienstkreuz II. Klasse.
Nürnberg, 14. November (Unterstand).
Eben geniesen wir hier das selbe Wetter wie im vergangenen Winter vor Wytschaete. Freilich kommt es uns in dieser Stellung nur halb soviel zugute, denn voriges Jahr kam zu dem Guten von oben, dem Regenwasser, in dem Grundwasser Flanderns nicht weniger Gutes von unten. Hier aber fehlt es erfreulicherweise an Feuchtigkeit aus der Tiefe, so daß man genügend weit in die Erde dringen kann, um eine vernünftige Deckung zu haben. So gedenken wir hier in Unterkunft und Stellung bedeutend weniger unbehagliche Winterquartiere zu bewohnen als vor Jahresfrist. Vor dem Winterschluß wirds aber wohl noch eine Mordsschießerei im Westen geben, als Kundgebung, die zur Entlastung im Orient führen soll, angreifen werden sie aber keinen.
Misery (Ortsunterkunft) 26. November
Recht erfreuliche und auch ernste Nachrichten zum anderen Teil waren es, die Sie mir in Ihrem letzten Brief zugehen ließen. Krankheit in der Schule und im Dorfe sind in so allgemeinem Auftreten eine harte Nuß für eine Gemeinde. Hoffentlich geht der Lehrmangel schnell vorüber. Besonders wünsche ich das meiner kleinen Schar. Auch bei uns sieht sichs hie und da in der Stellung etwas windig an und doch kommen wir zuallermeist  ohne Verluste wieder heraus. Manchmal meint man schon die Franzmänner suchten die Plätze für ihre Granaten aus an denen keine unserer Leute stehen. So ist es hier, wenn man genau zusieht, nur halb so schlimm.
Recht erfreulich ist die Regelung des Organistengehaltes, besonders erfreulich aber die Einstimmigkeit des Beschlusses. So läßt der Krieg in friedlicher Arbeit manches Ziel auf gute Art erreichen, was der Friede einem kriegerischen hin und her nicht bescherte. Möchte der Krieg, wie hier im Kleinen, so auch im Großen gar manche hohe Friedenserwartung im großen deutschen Vaterlande erfüllen. Die Rückkehr in Heimat und Friede wird so schnell nicht erfolgen. So schnell und leicht ergeben sich unsere Gegner nicht. Und jetzt sind wir bald soweit, daß wir befreundete Völker des Ostens ausrüsten und durch unsere Offiziere den englischen Träumen an die Kehle führen können. Ein baldiger Kaiserbesuch in Konstantinopel wird dafür ein herrlich Signal sein. Ach Gallipoli! Lebt wohl Dardanellen! Jetzt heißt es Ägypten und was drum und dran hängt. Das läßt sich natürlich nicht im Handumdrehen erreichen und so heißt es für uns im Westen wieder still und wachsam aus- und durchzuhalten. Eine kleine Ausspannung und eine ganz winzige durch Urlaub. Der kommt aber bei mir noch nicht so schnell wieder.

Das war der letzte Brief. Noch nicht vier Wochen später, am 20. Dezember 1915 wurde Ebersold, mit dem Urlaub in der Tasche, durch eine feindliche Kugel überrascht und auf dem deutschen Militärfriedhof in Marchelepot beigesetzt.

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Kriegschronik von Oberndorf Teil XIV.

Berichte aus Briefen der Kämpfer V.

Lehrer Stemler – Mannweiler – schrieb am 14. August 1917 aus Russland.

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Sie werden mich wohl schon in Sibirien vermutet haben, weil ich schon so lange nichts mehr hören ließ. Der Sommer in den Roknito-Sümpfen mag es entschuldigen. Wer diesen einmal erlebte, kann viel erzählen und wer sein Unangenehmes zum zweiten Male durchkosten muß, kennt ihn noch besser. Die beste Bezeichnung für ihn ist „scheußlich“. Das Klima ist ungesund. Drückend heiße Tage wechseln sehr rasch mit rauhen, wie sie Deutschland nur im November kennt. Luft, Erde und Wasser wimmeln von Ungeziefer, Flöhe fallen einem in ganzen Schwärmen an. Wer keine breiten Stiefel anhat, den springen sie beinahe um. Die Schnaken sind so zahlreich, daß man sich Tag und Nacht von einem Bienenschwarm umgeben glaubt. Wer ihnen einige Stunden ausgesetzt ist, sieht kaum noch aus den Augen. Mäuse und Ratten halten sich in den Unterständen in ungeheurer Zahl. Selbst ein Aufhängen des Brotes an einem Bindfaden hilft nichts. Sie kriegen es herunter, den Fliegen muß man das Recht lassen, im Gesicht Platz zu nehmen und bei allem mitzuessen, weil man sich ihrer nicht erwehren kann. Unken, Kröten, Molche und Frösche beleben jedes Wasser in so großer Menge, daß ein Fließen desselben unmöglich ist. Zahl und Arten des Ungeziefers sind so groß, daß man staunen muß. Mit ihm haben wir weit mehr zu kämpfen, als mit dem Russen. Letzterer ist hier ziemlich ruhig. Nur wenn er seine schwachen Stunden bekommt, beschießt er uns mit seiner Artillerie. In Rumänien geht es immer noch frisch vorwärts. Dem Engländer und Franzosen scheint im Westen auch bald der Atem auszugehen. Die gar so gewaltigen Wutschreie verraten nicht mehr allzuviel Kraft. Wir denken bis zur nächsten Kornernte wieder in der Heimat zu sein.

Am 11. April 1917 war folgender Brief angekommen:

Sehr lange dauerte es diesmal wieder, bis ich zum Schreiben kam. Doch nachfolgende Zeilen mögen eine Entschuldigung sein. Wir haben sehr bewegte Tage hinter uns. Schon sehr lange war von unserer Seite geplant, den Brückenkopf Toboly, den die Russen am mittleren Stochod besetzt hielten, zu nehmen. Am 2. April schien die Zeit hierzu günstig zu sein und so wurde unser Angriff auf den 3. April angesetzt. Früh 6 Uhr begann das Trommelfeuer auf die russischen Gräben. Für die ganze Arbeit waren 3 Tage vorgesehen, wurde aber, weil alles großartig glückte, in einem Tag geleistet. Die russischen Batterien wurden durch Gas niedergehalten. Unsere Artillerie arbeitete erstklassig. Nachmittags 2 Uhr begann schon das zurückfluten der Russen. Ganze Regimenter wollten geschlossen über zwei noch für sie in Betracht kommende Brücken. Hier leistete unsere Artillerie großartige Arbeit. Auf einer Wegstrecke von etwa 1 km waren von einem vollen Regiment nur noch einzelne Männlein zu sehen und diese wurden Opfer unserer Gaswolken. So rannte ein Regiment nach dem anderen in diese Feuerzone und wurde total vernichtet. Da alles eilig vorwärts schritt, kam um 6 Uhr abends für uns auch etwas überraschend schnell der Befehl zum Sturm. Um 7 Uhr stiegen wir über unsere Gräben und stürmten vor. Das erste Hindernis war von Wasser bis in Brusthöhe, dann folgten zwei feindliche Drahthindernisse und endlich der russische Graben. Die russischen Batterien, die sich regen wollten, erhielten sofort wieder die Nase voll Gas und alle schwiegen. Nun erwarteten wir jeden Augenblick die Gegenwehr der russischen Grabenbesatzung. Statt sich zu wehren, kam diese auf Knieen gerutscht und hielt an wie der Krüppel am Weg. Alle dachten scheinbar, daß es ihnen jetzt an den Kragen geht, was unser Kriegslärm auch hätte erwarten lassen können. Aber alle freuten sich über den gnädigen Empfang. Unseren Ulanen küßten sie die Hände und sogar die Stiefel, was mehreren Panies eine recht derbe Abfuhr einbrachte. Sehr eifrig marschierten sie auf unsere Gräben zu und waren sichtlich erfreut, endlich aus dieser Feuerhölle zu kommen. Wir machten an dem Tage 1 General, 4 Oberste und 10 000 andere Offiziere und Mannschaften zu Gefangenen und erbeuteten 15 Geschütze, 94 Maschinengewehre, etwa 40 Minenwerfer und ungezählte Gewehre und Material. Die Verluste der Russen an Toten und Verwundeten zählten nach Tausenden. Unsere Verluste waren sehr gering. Der 3. April wird mir in ewiger Erinnerung bleiben. Zum ersten Male wurden wir an diesem Tage zum Stürmen angesetzt wie Infanterie (Stemler war beim ersten bayerischen Ulanenregiment), während wir bisher nur in der Verteidigung blieben. Für unser Regiment war es ein ruheloser Tag. Unangenehm war nur das Freibad im Schneewasser und das Nachtlager auf dem Sand in unserer Kleidung. Mir ist die Sache nicht ganz gut bekommen. Scheinbar hatte ich etwas von unserem Gas geschluckt, denn tagelang besaß ich eine Art Katerstimmung, so daß ich die Ostern größtenteils auf meinem Lager zubrachte. Jetzt bin ich glücklich wieder auf dem Damm und freue mich, alles gut überstanden zu haben. Der Russe hat sich immer noch nicht ganz von seinem Schrecken erholt.

Militärstation: Herakino, den 28. Mai 1918

Ihr Brief vom 26. April erreichte mich erst jetzt. Inzwischen habe ich eine ganz interessante Reise gemacht, längs durch die Ukraine. Am 20. April wurde ich durch das Regiment von Stochod abgerufen. Nach einer vierwöchigen Reise mit der Bahn erreichte ich am 20. Mai das Regiment. Meine Fahrt führte mich über Jekaterinoslaw und Taganrog, letztes am Asow`schen Meer. In beiden Städten lag ich je 8 Tage und wartete auf weiteren Befehl. So hatte ich Gelegenheit in das Leben einer ukrainischen Stadt hineinzuschauen. Jekaterinoslaw ist eine Industriestadt mit einem ziemlich französischen Anstrich. Die Luft über der ganzen Stadt ist geschwängert mit Parfüm und die Gesichter der Damen sind „ganz bunt“ bemalt. In einer ganz zufälligen Kleidung steckt eine leichtlebige Bevölkerung, die sich nach wenigen Tagen nichts mehr von der schweren Zeit der Bolschewikiherrschaft anmerken ließ. Ernsthafte Arbeit kennt man weit weniger als in Deutschland, dagegen für den Straßenbummel zu bestimmten Stunden des Tages haben alle reichlich Zeit. Taganrog ist ein gemütliches Bürgerstädtchen. In seinem Hafen herrscht ziemliche Stille. Nur Fischerboote fahren aus und ein. Der Anblick des Meeres vom Strande aus ist ganz malerisch, aber keineswegs überwältigend, wie ich es mir vorstellte.
Gegenwärtig liegen wir etwa 70 km nördlich Taganrog. Da nun die Operationen fast abgeschlossen sind, beginnt die Hauptarbeit des deutschen Militärs in der Ukraine. Diese besteht im Beitreiben von Vorräten, die nach Deutschland geschafft werden. Wir selbst werden in den nächsten Tagen hier abgelöst und kommen fort. Wohin es geht und welche Verwendung wir bekommen, ist noch unbestimmt. In Mannweiler glaubte man mich schon im Westen. Gottlob ist es bis jetzt noch nicht der Fall, aber ausgeschlossen ist es garnicht, daß es bald kommen kann.

Kloszki, den 7. Oktober 1918

Ihren Brief vom 13. September erhielt ich erst vor zwei Tagen. Inzwischen war ich schon in Urlaub. Auf der Durchfahrt machte ich auch in Mannweiler einen kurzen Besuch. Leider war die Zeit zu kurz, um auch nach Oberndorf zu kommen, wo ich gerne auch Sie besucht hätte. So muß ich dies auf das Kriegsende verschieben, was ja bald zu kommen scheint. Wie im Februar wurde ich auch diesmal wieder einberufen. Die Ursache war eine Verschiebung des Regimentes. Seit einigen Tagen sind wir nun in Tanrien, an der Küste des Schwarzen Meeres. Unsere Fahrt ging über Nikolajew nach Cherson. In letzterem lagen wir 2 Tage. Das Äußere der Stadt macht einen orientalischen Eindruck. Das Leben und Treiben ist russisch, Kaufhäuser, Gasthäuser und Cafes dagegen nach deutschem Muster. Zu kaufen bekommt man alles, was das Herz begehrt, aber alles ist sündhaft teuer. Was bei uns in Deutschland jetzt noch 20 – 30 Pfennig kostet, bezahlt man hier mit 3 Rubel = 4 Mark. Von Cherson aus wurden wir auf Schleppern über den Dniepr gesetzt. Zum ersten Male sah ich dabei Kavallerie auf dem Wasser. Auf zwei großen Kähnen war die ganze Eskadron mit 170 Pferden, 190 Mann und 18 Wagen untergebracht. Die Reise zu Schiff ging 8 – 10 km weit nach dem Städtschen Aloszki gegenüber Cherson, wo wir jetzt liegen. Aloszki ist ein Städtchen mit 20 000 Einwohnern, mitten in einem weiten Wüstenland. Man glaubt hier in der Sahara zu sitzen auf einer Oase. Das Städtchen an sich ist sonderbarer Weise ein großer Obstgarten. Doch es ist so staubig, daß die ganze Natur grau statt grün ist. Wir haben hier 25 Grad Wärme am Tage und die Nacht kann man ruhig auf blankem Sande im Freien verbringen. Unser Dienst ist Verwaltung und Sicherung des Bezirks. Ich selbst habe den Posten eines Bahnkommandanten. Was man im Kriege nicht alles werden kann. Hoffentlich ist das der letzte Posten und wir können bald zur Friedensarbeit zurückkehren.

Die Kriegszeit auf dem Lande im Jahr 1915, von Pfarrer Stock.

In dem gebirgigen Teile unserer schönen Pfalz, wo die Flüsse und Bäche sich in das Erdreich eingewühlt haben, erwachsen dem Landmanne bei der Feldbestellung und Ernte erhöhte Arbeitsleistungen. Die gesteigerten Mühen des Lebens blieben denn auch nicht ohne Einfluss auf sein inneres, geistiges Leben. Er ist bedächtigen Sinnes, leidet nicht an Vielredigkeit und sieht seinen schönen Lebenszweck in der Arbeit in Feld und Haus. Äcker, Stall und Scheune erfordern im Laufe des Jahres seine Gegenwart und so kommt es, daß sein Umgang mit der Außenwelt ein beschränkter ist, was hauptsächlich ihn veranlasst nicht blindlings allen Neuerungen nachzujagen, sondern vorsichtig das Für und Wider reiflich zu erwägen. Gleichwohl zeigt er sich allen fachmännigen Stellen, zu denen er einmal Zutrauen gefasst hat, entgegenkommend, so daß z.B. die theoretischen und praktischen Winke, bei ihm auf fruchtbaren Boden fallen, was allgemein an dem Aufblühen der landwirtschaftlichen Produktivität jeglicher Art dieses Gebietes beobachtet werden kann. Der pfälzische Bauer im Berglande ist stolz auf seinen Besitz und weil er ihn schwer erringt, hält er ihn doppelt fest. Daher lässt es sich auch erklären, daß die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen von ihm besonders schwer empfunden werden, namentlich, weil er glaubt, daß die Manipulationen des Großhandels nicht die gleiche Belastung erfahren. Daß auch hier nach und nach durch behördliche Einrichtungen ein Ausgleich herbeigeführt wird, dürfte die Landwirte schließlich zufriedenstellen und beruhigen.
Als im Jahre 1914 der furchtbare Krieg ausbrach und eine Kriegserklärung der anderen folgte, da lag auch über den Dörfern der westlichen Pfalz eine schwüle Atmosphäre. Mit Bangen sahen die älteren Leute der nächsten Zukunft entgegen, während die Jüngeren gleich ihren städtischen Kameraden kampfbegeistert auszogen. Auch hier sah man rührende Szenen des Abschieds, wie sich das alte, von schwerer Arbeit verwitterte Mütterchen an den kraftstrotzenden scheidenden Sohn hing und mit dem Schürzenzipfel die Tränenbäche zu hemmen suchte, oder wie der lastgebeugte alte Bauer seinem Jungen das Geleit zur nächsten Bahnstation gab und hier wehen Herzens dem reich geschmückten Zuge nachsah, der seinen wackeren Arbeitsgenossen ins ungewisse Schicksal entführte. So sah ich ein altes Männlein noch eine halbe Stunde nach Abgang des Zuges, auf dem selben Flecke stehend, mit tränengeröteten Augen nach der Richtung starren, wo sein Lebensblut dahinfuhr. Dort nahm der Bursche von dem ihm „versprochenen“ Mädel tapfer Abschied, es mit seines Kaisers Worten tröstend, wie er den bösen Feind „dreschen“ wolle und wie er gewiß wieder gesund und als ein Held zurückkehren werde. An den Tod dachten die jungen Krieger nicht. Mit ihren Kameraden vereint, zogen sie singend und scherzend aus in den Kampf, daß Trennungsweh den Daheimgebliebenen überlassend.
Still gingen diese der Arbeit nach und als nach und nach auch die älteren Jahrgänge eingezogen wurden, da wurde überall in den Dörfern die bange Frage laut: Wer hilft uns jetzt die Ernte einbringen und das Feld bestellen zum nächstjährigen Ertrage? Doch was man nicht für möglich gehalten hätte, ist eingetreten. Nach der Entziehung so vieler starker Männerkräfte schritt die Feldarbeit fort wie in Friedenszeiten. Frauen und Mädchen im Vereine mit Greisen und Kindern unterwarfen sich mit doppeltem Eifer der Riesenarbeit von Ernte und Feldbestellung, von Haus- und Gartenwirtschaft. Verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit und nachbarliche Zuneigung ergänzten gegenseitig die Lücken. Mit gefüllten Scheunen schloß das Kriegsjahr 1914 ab und mit Zuversicht sah man nach den gelungenen Proben dem weiteren Verlauf des Krieges entgegen und wohl noch günstiger gestaltete sich das Ernteergebnis im Kriegsjahr 1915.
Wenn auch die Bauersfrau, wie geschildert, alle Hände voll zu tun hat, so vergißt sie doch nicht mit besonderer Sorgfalt für ihre tapferen Helden draußen im Schützengraben die wohlgefüllten Liebesgabenpaketchen herzurichten und mit einigen liebevollen Zeilen der Post zur Weiterbeförderung anzuvertrauen. Schinken, Hartwurst, Hausmacherwurst, Eier, Butter und andere gute Dinge sollen dem Braven draußen für alle Strapazen und Gefahreneinigermaßen entschädigen. Wie freut sich das Mutterherz, wenn ein Feldpostbrief die Antwort bringt, daß die guten Gaben mit Vergnügen in Empfang genommen worden seien und ihren Zweck erfüllt hätten und wie freut sie sich erst recht, daß der gute Junge noch heil und gesund ist. An warmen Unterkleidern für den harten Winterdienst darf es ihm nicht fehlen. Die sorgende Mutterhand findet Zeit genug dies alles herzurichten. Mit Stolz erzählen die Angehörigen von den heimberichteten Heldentaten ihrer Braven draußen und wahrlich, es sind ihrer nicht wenige, die mit Verdienstkreuzen und gar dem Eisernen Kreuze für ihr tapferes Verhalten vor dem Feind ausgezeichnet worden sind. Mit doppeltem Eifer wird von Großvater, Mutter und Schwester oder dem jüngeren Bruder die schwere Arbeit geleistet, die sonst dem Feldgrauen oblag, wenn sie von ihm hören, wie er große Strapazen, oft den Tod vor Augen, zu ertragen habe. Dieses Heldentum vor dem Feinde regt in der Heimat zum ausdauernden Ringen in wirtschaftlicher Hinsicht an. Es werden dadurch bei der Landbevölkerung schlummernde Kräfte ausgelöst und weiter gestählt, die erzieherisch wirken zur Heranreifung eines starken Geschlechts.
An vielen Zügen lässt es sich erkennen, daß die Landbevölkerung sich mit starkem Herzen in das schwere Geschick findet, das der Krieg bringt und daß sie mit vaterländischen Gefühlen alles Ungemach erträngt. Ist es nicht vaterländisch gedacht, wenn eine Mutter, deren Herz sich um ihren Sohn draußen an der Front schon weit über Jahresfrist verzehrt, sagt: „Es ist mir ganz gleich, wann er kommt, w e n n er nur wiederkommt!“ Mit welchem heroischen Gleichmut oft Frauen die Verstümmelung ihrer Männer ertragen, ist erstaunlich. Nicht als ob sie sich gleichgültig darüber hinwegsetzen würden; nein, der Gedanke, daß ihr Gatte seine gesunden Glieder für das Vaterland hingegeben hat, löst bei ihnen, neben einem schmerzlichen Gefühl, ein Gefühl des Stolzes aus. „Es wird schon wieder einen Weg zu neuem Unterhalt geben“, sind hier die Worte der Selbsttröstung. Gleich heroisch sind aber die von feindlichen Geschoßen schwer Gezeichneten selbst im Ertragen ihrer Kriegsgebrechen. So hat, um nur ein Beispiel anzuführen, ein blutjunger Landwirt mich eines Tages mit der linken Hand gegrüßt, weil der rechte Arm infolge eines Schrapnellschusses bewegungslos herabhing. Trotzdem eine Heilung ausgeschlossen ist, war er guten Mutes und meinte, stolz auf das Band des Eisernen Kreuzes zeigend: „Dies entschädigt mich reichlich für meinen toten Arm und wenn ich auch meinen Landwirtsberuf an den Nagel hängen muß, so werde ich mir schon weiter helfen“. Diese Beispiele, sie ließen sich noch vermehren, geben beredetes Zeugnis von dem guten, patriotischen Geist, der in unserer Landbevölkerung steckt und es ist  nicht zu verwundern, wenn unsere Heerführer sich wiederholt äußerten, daß mit so gearteten Truppen sich die schwierigsten Unternehmen ausführen lassen.
Wir wollen es mit den düsteren Bildern genug sein lassen und Kriegseinwirkungen auf dem Lande schildern, die eine heitere Note erkennen lassen. Wie freut man sich im Elternhause, wenn der Sohn, auf den man seiner Taten wegen stolz geworden ist, auf Urlaub heimkommt. Erhobenen Hauptes begleitet man ihn durch das Dorf in die Kirche, wo er in seiner feldgrauen Uniform alle Blicke auf sich lenkt. Gespannt lauscht man seinen Schilderungen vom Kampffelde und all den furchtbaren Dingen, die der moderne Krieg mit sich bringt. Doch auch heitere Erlebnisse werden zum Besten gegeben und nicht zum Geringsten spielt dabei die Magenfrage mit allem Drum und Dran eine Hauptrolle. Von Eltern, Geschwistern und Verwandten wohl aufgepäppelt, verläßt der Krieger nach abgelaufener Urlaubszeit wieder sein Heimatdorf und begibt sich neu gestärkt zum frischen Kampfe in den Schützengraben.
Die Kriegsgefangenen, in der Hauptsache sind es Russen, werden von den Landleuten gut gehalten. Sie empfangen ausreichende Kost, schlafen in guten Betten und werden, wenns not tut, gekleidet. Allerdings verlangt der Bauer dafür ausdauernde Betätigung in Feld und Haus. Die Verständigung geschieht durch Zeichen und Vormachen. Im Laufe der Zeit lernen sich auch beide Parteien bis zu einem gewissen Grade durch gegenseitig erlernte Worte verstehen. Das Verhältnis zwischen Familie und Kriegsgefangenen ist meist ein erfreuliches. Doch gibt es unter letzteren hie und da renitente Elemente, die sich gern von der Arbeit drücken möchten. Viele sind des Lesens und Schreibens auch in ihrer Muttersprache unkundig und bringen den bäuerlichen Anleitungen oft wenig Geschick entgegen. Andere zeigen sich, dank ihrer  besseren geistigen Entwicklung wieder anstelliger. Mancher Bauer muß oft allen Scharfsinn und alles anschauliche Geschick aufwenden um diese Leute in subtilere Teile der Arbeit einzuführen. Wieder andere reden auf die Gefangenen unermüdlich ein, um sich ihnen verständlich zu machen. Ja ich hörte sogar ein altes Bäuerchen mit überlauter schriller Stimme einem Mongolen beim Pflügen Anleitungen geben, so daß es sich anhörte als ob er den größten Rechtsdisput mit dem Gefangenen hätte. Wahrscheinlich glaubte der Lehrmeister dem Mangel an Sachverständnis durch die Tonstärke abhelfen zu können. Soviel haben die Landwirte herausgeklügelt, daß die Russen im allgemeinen brauchbarer zur Feldarbeit sind, als die feinnervigen Franzosen. Den russischen Kriegsgefangenen scheint es ganz gut, nach ihren Äußerungen zu schließen, auf dem Lande zu gefallen. Manche von ihnen wollen deutsch werden und geben das kund mit den Worten: „Nix Russi, Warschau deutsch!“ Wieder andere verwundern sich darüber, daß jeder Mann hier sein Häusschen und Gärtchen habe, während bei ihnen dies alles dem Zar gehöre. Sie wollen Frau und Kinder kommen lassen und lieber hier wohnen bleiben, als in ihrer russischen Heimat, wo alles so streng und hart sei.
Die Wahrnehmungen und Erfahrungen, weche die Tausende und Abertausende von Kriegsgefangenen in unseren deutschen Landen machen, dürften wohl nach dem Frieden und der Heimkehr derselben gute Früchte zeitigen. Sie werden gewiß die beste Abwehr aller Lügengewebe bilden, mit welcher das russische Volk von seiner Presse umnebelt wurde und werden eine Brücke zu besserem gegenseitigem Verstehen schaffen zum Nutzen und Frommen großer Völkerschaften.

Kriegschronik von Oberndorf Teil XIII.

Aus den Briefen der Kämpfer IV.

Die Kriegserlebnisse von Heinrich Wagner von Cölln wurden von ihm folgendermaßen geschildert:

Bild S. 107

Wagner mit seiner Einheit in Ruhestellung Falkenberg

Meine liebe Pfalz verließ ich mit meinem letzten Quartier in Niederhochstadt. Von Zeiskam, wo wir früh 8 Uhr eingeladen wurden, gings mit dem Zuge nach Straßburg. Daselbst Aufenthalt. Ich hatte Bahnhofswache. Nach einer Stunde wurde ich abgelöst. Jetzt erfuhr ich, daß unser Bestimmungsort noch unbestimmt sei. Endlich hieß es: „Einsteigen“. Jubel und Freude herrschte überall. Wie beruhigend muß es für die Bewohner gewesen sein, als sie die Begeisterung sahen! Und dann der Humor, den man das „Brot“ im Felde nennen kann und der sich besonders in manch treffender Aufschrift an den Eisenbahnwagen zeigte. Er läßt den deutschen Soldaten leicht die Schmerzen vergessen, die ihnen der Abschied von ihren Lieben gebracht hat. Der „D-Zug nach Paris“ ist schon im Gange und weiter fährt er ins Dunkel. Schirmeck ist erreicht und allmählich wird uns das Ziel gewisser. Langsam schleppt sich unser Dampfross mit seinen 50 Wagen vorwärts. Endlich abends 11 Uhr aussteigen und strenge Ruhe. Bourg – Brucke! Schon hören wir ganz deutlich den Geschützdonner. Jetzt rasche Einteilung und die Quartiere aufgesucht. 15 Minuten Marsch und wir sind an Häusertrümmern angelangt. Französische Artillerie hat hereingeschossen. Da heißt es jetzt sich ein Plätzchen suchen, wo man ein wenig ausruhen kann. Um 3 Uhr gehts schon wieder weiter zur Front. Endlich finden wir – 5 Kameraden und ich – ein Plätzchen im Gemeindehaus, das noch ziemlich erhalten war. Rasch machten wir uns ein Lager auf dem Fußboden zurecht und kochten draußen eine Suppe, denn seit 2 Tagen hatten wir nichts Warmes mehr bekommen. Ach, gar zu bald sind uns die 2 Stunden, die uns noch zum Schlafen übrigblieben, verflossen. Schon wird alarmiert; selbstverständlich geschieht das Antreten in größter Ruhe und ohne Licht, damit nicht etwa ein französischer Flieger von unserem Anmarsch erfährt. Um 9 Uhr stand die Kompanie marschbereit und weiter ging es auf Saales. Auf dem Wege dahin stießen wir zu unseren anderen Kompanien und nun ist auch das 1. Batallion beisammen. „Laden und sichern“! Ein für uns in dieser Lage fremdes Kommando, das wir aber schon lange ersehnten, denn wir brannten vor Begier nach dem Feinde. Es ist ein eigentümliches Gefühl, wenn man zum ersten Mal die 5 Patronen einschiebt, die dazu bestimmt sind, Menschen zu töten. Nach einer Stunde erreichten wir die noch deutsche Stadt Saales. Aber von ihr sieht man nur noch einen Haufen Trümmer. Außer der Kirche ist kein Haus unbeschädigt. Kaffees, Schulhäuser, alles durch die französische schwere Artillerie zerschossen, als sie sich, von den Deutschen verfolgt, zurückziehen mußte. Keine Fensterscheibe ist mehr zu sehen, durch den ungeheueren Luftdruck der Granaten sind sie eingedrückt worden. Noch rauchen die Trümmer! Wenige Tage zuvor waren noch 2 Feldlazarette da, welch ein Glück, daß sie verlegt worden waren! Wie wäre es unseren armen Verwundeten ergangen, denn der Franzose fragt nicht nach dem Roten Kreuz. Nach langem, anstrengendem Marsch über Berg und Tal, durch Wald und herrliche Wiesen, vorbei an Biwackstellen und Lagerplätzen, an Gräbern unserer Kameraden, erreichen wir ein kleines Gehöft. Beim Anblick des ersten Grabes durchschauerts einen. Hier ruht das junge Blut in fremder Erde, ein einfaches Kreuz aus Ästen rasch von einem Kameraden hergestellt und mit dem Helm geziert, bezeichnet die Ruhestätte. Einfach aber weihevoll! Die letzte Ehre! Die Grabhügel mehren sich, die Gegend wird wüster: Granatlöcher, Infanteriestellungen, gesprengte Überführungen. Hier wütete ein heißer Kampf. Endlich Häuser: La petit Fonc, wir sind bei unserem 4. bayerischen Reserveinfanterieregiment. Es ist früh 7 Uhr. Rasch werden wir eingeteilt. Das Regiment hatte schwere Verluste, da die Stellung der Franzosen in der gebiergigen Gegend äußerst schwer zu nehmen war. Jeder Schritt mußte fast mit dem Bajonett erkämpft werden, außerdem hielten die lieben Nachbarn jedes Jahr hier ihr Manöver ab, ganz nah an unserer „Haustüre“. Die Entfernungen kannten sie deshalb ganz genau, ein ungeheuerer Vorteil für die Artillerie, die sich dadurch das Einschießen ersparte. Unsere Kompanie, die zweite, ist in einer Scheune untergebracht. Es ist 8 Uhr früh und schon erhalten wir unsere Feuertaufe, denn die ersten französischen „Ansichtskarten“ kommen geflogen in Gestalt von Granaten und Schrapnells. Ein fürchterliches Zischen und Sausen. Die alten Kameraden rührten sich schon gar nicht mehr, stehen gar nicht auf bei den Schrapnells und merken erst auf, wenn Granaten kommen. Uns jungen Vaterlandsverteidigern ist das ein wenig komisch und wir laufen in unsere Unterstände, die am Abhange des Berges gebaut sind, der dem feindlichen Feuer entgegen liegt. Die Franzosen haben die Liebenswürdigkeit, ihre Grüße zu bestimmter Stunde des Tages uns zu schicken, das ist morgens von 7 – 8, mittags um 1 Uhr nach ihrer Mahlzeit (da scheinen sie sich am stärksten zu fühlen, denn da feuern sie nur in Salven) und dann abends bei der Dämmerung.
Am 20. August gingen wir auch nicht mehr aus unserer Scheune heraus, sondern waren frohen Mutes beim Spiel der Mundharmoniken. Gar viele in der Heimat können es sich nicht vorstellen, daß man auch lustig sein kann, wenn man dem Tode so nahe ist, aber warum nicht? Mit seinem Gott hat sich jeder auseinandergesetzt und erwartet nun ruhig sein Schicksal, das ihm bestimmt ist. So vergeht ein Tag auf den anderen. Unsere Front ist auf dem Berge, wo wir eine Verteidigungsstellung einnehmen und halten müssen. Sie ist in ungefähr einer halben Stunde erreichbar. La petit Fonc ist ein armes, kleines Dorf mit schöner katholischer Kirche. Es ist schade um das Kirchlein, das ein bisschen hoch liegt. Granaten und Schrapnells haben ihm das Dach eingerissen. Alle Heiligenbilder liegen zerfetzt am Boden und die Kanzel ist mitten in die Kirche geschleudert. Es sieht dort drinnen fürchterlich aus, dem Pfarrhaus erging es ebenso.
Nach einigen Tagen kam der Befehl: „Marschfertig machen“! Nachts um 2 Uhr geht es ab. Wohin? unbestimmt. Über Saales, Bourg – Brucke gehts zurück. Hier morgens 9 Uhr Essen fassen (wie stehts das einzige Essen am Tage), dann hofften wir, weil wir an der Bahn waren, eingeladen zu werden. Aber umsonst. „Tournister auf – Gewehr in die Hand“. Das übliche Kommando und weiter gehts über Steige, St. Martin (von uns vollständig niedergeschossen, als wir die Franzosen zurückschlugen), weiter nach Schorrweiler, wo es endlich, endlich Halt gab. Es regnete auf dem Marsche und müde waren wir schon in Saales, denn 55 Pfund wollen getragen sein. Nun kommen noch die müden Füße hinzu. Viele haben ja schlapp machen müssen, aber im großen Ganzen wurde ausgehalten auf dem Marsche von abends 11 bis am nächsten Tag abends 7 Uhr (20 Stunden). Wir hatten nur einmal Pause in Bourg – Brucke. Hier muß uns unsere Feldpost verloren haben. In Schorrweiler gab es Rasttag bis nachts 2 Uhr, dann Abmarsch auf Schlettstadt, wo wir endlich eingeladen werden. Jetzt im Zuge! Wohin weiß wieder niemand, selbst die Hauptleute nicht.
Wir fahren zurück über Straßburg und Metz, von da nach Mars la Tour. Aussteigen! Es ist Nacht. Wir müssen nach Chambley marschieren, eine halbe Stunde weit, dann Essen fassen und in die Quartiere. Ein Tag Rast. Ruhe tut uns sehr not. Wir lassen uns in einer Scheune häuslich nieder und schlafen sofort. Chambley ist ein kleines Städtchen, ganz nett, aber schmutzig, schmutzig wie das ganze Frankreich. Auf Grund eines Batallionsbefehls müssen wir überall große Reinigung vornehmen und, was sehr notwendig ist, Latrinen bauen (Aborte kennen die Franzosen garnicht, nirgends einer zu sehen). Die Rastzeit ist um, Batallion steht reisefertig. Wir maschieren weiter über Beney, La marche (2 Tage Aufenthalt), Boncourt, Banieres nach Aprimont. Überall Militär und wieder Militär, meistens Preußen. Ab Aprimont beginnt für mich das eigentliche Kriegsleben, oder besser gesagt: Zigeunerleben. Kanonendonner jetzt schon sehr gut vernehmbar. Wir marschieren weiter, endlich im Bereich der Kugeln. Wieder Zischen und Sausen, wir liegen in Reserve. Granaten und Schrapnells besuchen uns auch hier, doch die meisten gelten nicht uns, sondern unserer Artillerie, die hinter uns steht.
Es war Nacht, als wir zum 1. Mal in Reserve lagen, eine Nacht, in der von beiden Seiten ein Sturmangriff geplant war. Unsere Artillerie arbeitete schon fieberhaft; es ist 3 Uhr früh, Ziele hatte sie schon eingeschossen, der französische Angriff erfolgte erst um 6 Uhr, der unsrige war auf viertel nach 6 festgesetzt. Es war ein Glück für uns, daß die Gegner zuerst mit ihrem Sturm begannen, sonst hätte vielleicht uns das Schicksal treffen können, das die Feinde traf. Ihr sehr starker Angriff wurde mit schauerlichen Verlusten für sie zurückgeschlagen. Der Tod hatte furchtbare Ernte gehalten. Unser Angriff wurde erst um 9 Uhr 15 ausgeführt. Davon weiter unten. Wir liegen noch nach dem Abweisen des französischen Angriffs bis 8 Uhr in Reserve, beständig von Granaten und Schrapnells bedroht. Etwas schauerliches, wenn man so untätig daliegen muß, wehrlos jedem Geschoß preisgegeben. Wie froh waren wir, als endlich die Nacht vorüber war. Ein Nachtgefecht ist doppelt schrecklich. Manchmal gleicht der Kampfplatz einem Vergnügungspark, in dem eine bengalische Nacht gefeiert und das Feuerwerk das Auge ergötzt, wenn nicht das furchtbare Getöße und Dröhnen die Wirklichkeit zu grußlich vor Augen stellen würde. Endlich heißt es für die Unseren: „Zurück“! Dieses Mal geht man gerne, denn nützen können wir nichts und werden beständig bombardiert. Es geht 4 – 5 km zurück. Seitwärts in einem Buschwald wird gelagert. Nicht lange, dann gehts wieder vor in Reserve. Nur wenige Stunden, dann „zurück“! So geht es einige Tage hin und her, nur um den Gegner zu täuschen. Während dieser Tage haben wir nachts unter Büschen geschlafen oder in Strauchhütten, Zelte durften wir nicht aufschlagen, da wir jederzeit marschbereit sein mußten und uns vor den französischen Fliegern in Acht zu nehmen hatten. Auch hier, weit hinter der 1. Linie war man nicht sicher vor feindlicher Artillerie. Oft wurden uns Steinmassen zugeschleudert, von den Granaten herrührend, die hinter uns einschlagen. Tote gabs keine, aber Beulen für die Lebenden. Auch ich habe so kleine Andenken behalten, keine von Nachteil, da gibts nichts besseres, als auf den Bauch legen und Tournister auf den Rücken, dann triffts nur weniger empfindliche Teile, bei manchem vielleicht denjenigen, der es von jugend auf schon ziemlich gewohnt war. Trotz des Ungewohnten ruht man auf dem steinigen Boden ganz gut, man lacht und scherzt und vergißt, daß Krieg ist. Abends, wenn Ruhe in den Kolonnen ist, wirds feierlich, dann hält jeder Gottesdienst. Ein Flüstern geht durch die Reihen – Gebet. Es betet jeder, auch der schon über Gott gespottet, ihm gänzlich fremd wurde. Rohe Gesellen, sie kommen zur Einkehr. Es ist ergreifend, wenn man die rauhen Hände gefaltet sieht, die den Tod senden in die Reihen des Gegners, die gierig nach dem Gegner verlangen, um ihn im Kampf zu erwürgen. Dort liegt der Vater einer großen Familie. Sein struppiger Bart macht sein Gesicht hart, aber aus den Augen leuchtet die Liebe zu den Seinen daheim, um die es, gleich wie sie daheim sicher auch an ihn im Gebet gedacht haben. Die Kampfeswut, die Erbitterung ist in dieser Stunde von ihm gewichen. Hier liegt ein junger Kämpfer. Wo ist er anders mit seinen Gedanken als daheim! Bei Vater oder Mutter oder Geschwistern? Alles ist in tiefen Frieden getaucht, weit im Felde des Todes. Das ist auch eine der Freuden im Felde. Möge doch der Krieg auch davon Früchte bringen. Das tiefreligiöse Gefühl bei uns Deutschen muß bei vielen wieder geweckt werden, dann aber flutet ein Meer von Gebeten empor und das wird uns siegen helfen.
Der 10. Oktober bricht an, blutig färbt Mutter Sonne den klaren Himmel und schickt die Nacht ins Tal. Blutig! Ein Vorzeichen für den Tag. Was wird er uns  bringen? „Wir gehen vorwärts. Wir schieben ein“, so heißt es. Schon überschreiten wir unsere Artilleriestellungen. Es ist 4 Uhr früh. Alles noch dunkel. Durch engen Buschwald, Dornen und Draht. Endlich in den Laufgräben, die zu den Schützengräben führen. Jetzt langsam vorwärts und ruhig. Das geringste Geräusch und wir haben Salven von französischer Infanterie und Artillerie. Wir schreiten vorwärts. Greuel des Krieges begegnen uns. Tote Pferde, tote liebe Kameraden, verwundete Brüder – schrecklich der Anblick, schrecklich das Stöhnen, am schrecklichsten der Geruch. Endlich Kommando „Halt“! Alles hinlegen! Kugel pfeifen, Granaten und Schrapnells schlagen bei uns ein. Unsere anderen Reihen heuer lebhafter. Es tagt! Die Sonne drückt den Nebel in die Täler; es regnet, aber nicht lange. Es ist 6 Uhr, der Sturm beginnt. Feindliche Infanterie will schon herannahen, lebhaftes Schützenfeuer. Verwundete kommen schon, teilweise jämmerlich zugerichtet. Ich bin Verbindungsmann zwischen 1. Feuerlinie und Kompanie, direkt am Wagen, den die Sanitäter benutzen. Was tragen die alles zurück. Es schauert mich. Feindliches Feuer wird immer heftiger und jetzt setzen auch Maschinengewehre ein. Aber unsere Leute haben die Stellung erreicht, die die Franzosen geräumt. Jetzt Geknatter unserer Gewehre, Maschinengewehrfeuer, Artillerie spricht mit. Unser Vorstoß ist geglückt. Hurra! Unser Hauptmann kommt zurück, aber leider mit schlimmer Nachricht – Herr Major gefallen! Alles nimmt im liegen Helm ab. Schade! Unser Herr Hauptmann muß das Batallion führen. Die 2. Kompanie ist dadurch ohne Offiziere. Alles muß einschieben. 3. Kompanie weg. Jetzt kommt die Reihe an uns. Aber wir dürfen leider nicht gleich vor. Wir müssen an den rechten Flügel, eine viertel Stunde durch den Wald. Unser Hauptmann geht mit uns. Endlich bei der 7. Brigade. Jetzt wird erst bekannt, was wir zu tun haben. Stürmen, und zwar den Wald bei Aprimont. Höhe 362 von den Franzosen säubern. Gestern sind hier zwei Angriffe, für uns verlustreich, zurückgeschlagen worden und heute sollen wir die Stellung unbedingt nehmen. Um 9 Uhr 15 gehts los. Bajonette aufpflanzen. Vorläufig hinauf in die Ansturmschützengräben. Wir sind da. Unsere 1. Linie kommt zurück. Warum? Unsere Artillerie soll zuerst säubern. Schießt nun zwei Stunden lang nur Salven. Beobachtungsposten telefoniert: “ Schüsse sitzen alle gut“! 3. Kompanie fertig machen. Wieder ist strengste Ruhe. Gebet! Verschiedener Inhalt. Wie wirds gehen, denkt sich wohl mancher. Wie viele bleiben droben im Wald! Mancher von uns hat wohl noch nie in seinem Leben ein innigers Gebet zum Himmel gesandt, wohl auch nie ein inbrünstigeres Vaterunser gebetet, als in dieser Stunde, wo jeder auf sein baldiges Ende gefasst sein mußte und manchen erwischte der Tod in den nächsten Minuten.
9 Uhr 15 Kommando: „Zum Sturm“! Langsam bewegt sich die Kette vorwärts. Schwarz wie der Tod, der uns entgegenblickt, sind auch wir. Graue Mäntel haben wir keine bekommen, nur schwarze. Immer noch gehts vorwärts durch Gestrüpp und niederes Buschwerk. Der Nebel hat sich vom Tälchen heraufgezogen und es nieselt schon. Ahnungslos gehen wir in einer Waldlücke und erreichen jetzt den Kamm des Hügels, um drüben hinabzusteigen, gar nicht daran denkend, daß uns etwas geschehen könnte. Doch jetzt trifft uns gleich das furchtbar Entsetzliche, die Salven unserer Gegner! Und die Wirkung ist noch furchtbarer, als man mit Worten wiedergeben kann. Ich bin in erster Linie. Links und rechts sind sie gefallen, die lieben Kameraden. Tot – tot! Ein Vorwärts jetzt unmöglich. Wir nehmen Stellung. Wer nicht liegen kann, kniet oder steht und schießt, was nur aus den Läufen geht. Wohin? Keiner sieht ein Ziel. Ein furchtbares Geknatter. Alle Gedanken schweigen, nur der eine frist sich fest – den Gegner zu überwinden. Der Mensch ist jetzt Tier. Keiner glaubt, daß er getroffen wird und viele müssen dran glauben. Unsere Reihen lichten sich, die Verwundeten schleppen sich zurück. Doch für das Ganze gibt es kein zurück. Trotz des starken feindlichen Feuers gehts nur vorwärts. Wir sind im 1. französischen Schützengraben, wie schauts da aus. Obwohl wir kein Ziel sahen, war die Wirkung unseres Feuers entsetzlich. Die Toten lagen aufeinander, die Verwundeten stöhnten und schrieen nach Hilfe; vielen wurde sie gebracht, vielen durch das Bajonett. Es ist entsetzlich wie der Mensch im Kampfe ist. Doch es ist notwendig. Den Schuften darf man keine Gnade geben, alle soll man niedermetzeln, denn tut mans nicht, dann raffen sie sich wieder auf und schießen, trotzdem sie als Verwundete galten, von hinten auf uns. Hier wars, wo wir wieder in Stellung lagen, um den ca. 90 m entfernten feindlichen Schützengraben vor dem Stürmen noch einmal unter Feuer zu nehmen. Jetzt hatten wir ein sicheres Ziel. Da plötzlich will mein linker Arm nicht mehr. Ich kann mein Gewehr nicht zum Schießen hoch bringen, glaubte ich hänge mit dem Ärmel an etwas, bis ich Blut an ihm sah. Dann schaute ich erst nach und sah, daß ich getroffen war. Jetzt fühlte ich auch Schmerzen. Ich mußte zurück. Entsetzlich, wenn man vorwärts kommen könnte. Doch es ist nicht zu ändern. Ohne Besinnen muß ich wieder den Weg hinauf, den wir gekommen. Mitten im Kugelregen. Rechts und links pfeifen sie vorbei, meinen Mantel durchlöchernd. Doch ich mußte hinauf, hier konnte ich mir unmöglich einen Notverband anlegen. Endlich ist die Höhe erreicht und ein Schützenloch und darin ein Kamerad. Rasch den Mantel herunter, den Ärmel noch und den Arm verbinden. Blutet schrecklich, Verband fertig, was ein machen! Die Kugeln pfeifen immer noch furchtbar und schlagen in die aufgeworfenen Erdhügel vor uns ein. Vorläufig gibt es nur ein Ausharren. Endlich wird das Feuer schwächer. Ich ergreife noch das Lederzeug mit Seitengamasche und schleppe mich, mein Gewehr im Arm, langsam durch den Wald zurück auf den 100 m entfernten Notverbandsplatz. Jetzt merke ich erst, daß ich droben in dem Schützenloch, wo ich verbunden wurde, meinen Tournister liegen ließ. Doch ich kann nicht mehr zurück, das Feuer wird wieder heftiger. Ich bin unten. Da liegt ein Rothöschen, aber der Hass ist geschwunden, ich könnte ihm nichts mehr antun. 10 Minuten früher wäre es ihm schlecht ergangen. Ich gebe meine Patronen und das Ladezeug ab und behalte nur noch mein Gewehr und zwei Streifen Patronen für den Notfall. Nun geht es zurück zum Feldlazarett. Ein Franzose könnte einem doch in den Weg laufen, denn im Wald ist alles möglich, da muß man den Beruf des Pfadfinders lernen. Auf dem Weg zum Feldlazarett treffe ich bekannte Verwundete. Bald ist das Lazarett erreicht. Die Verbände werden nachgesehen, dann trollen wir weiter auf der belebten Straße, woher wir vor einigen Tagen gekommen waren. Nach 2 Stunden erreichen wir das Lazarett der Division. Dort werden wir verbunden und da es Abend ist, auf dem „Speicher“ untergebracht. Es gibt noch Tee und Kommißbrot. Hier wird alles gesammelt, um an anderen Tagen in Trupps entlassen zu werden. Die Nacht war wenig angenehm. Erstens schmerzte die Wunde sehr und zweitens das Stöhnen der Kameraden. Endlich ist es 10 Uhr früh (11. Oktober 14). Die Marschfähigen gruppieren sich und wieder gehts nach Chambley. Die Straße ist voll marschierender Abteilungen und fahrende Kolonnen bewegen sich gleich einer Schlange durch die öden Felder von dem nicht fruchtbaren Frankreich. Es ist schrecklich, wie man vom Kriege spricht. Frankreich werde nach dem Krieg so verheert sein, daß die traurigsten Verhältnisse eintreten. Aber ganz sachte! Sie sind an ihrem Elend selber schuld. Abends 7 Uhr erreichen wir Chambley. Hier werden wir eingeladen, um irgendwohin gebracht zu werden. In Metz hatten wir Aufenthalt zur Beköstigung, dann gings nach Zabern, das wir morgens 5 Uhr erreichten. Die Leichtverwundeten werden in die verschiedenen Lazarette verteilt, ich komme ins Missionshaus. Hier werden wir liebevoll aufgenommen. Kaffee gabs und, was uns fast fremd war, ein gutes Bett.
Es vergehen 2 Tage, da stellt sich heraus, daß ich operiert werden muß. Eine Kugel hat sich im Unterarm zwischen zwei Knochenfestgesetzt und wird entfernt. Da ich chloroformiert war, hatte ich keine Schmerzen. Ein hübsches Andenken aus Frankreich. Ich hatte einen Querschläger abbekommen. Die Wunde sieht schauerlich aus und ich kann froh sein, daß die Kugel nicht mehr Unheil anrichtete. Es wurde kein Knochen verletzt und ich kann die Finger bewegen, wenn auch der Arm noch schmerzt. Die Heilung geht schön vonstatten. Mit dem Eiter, der ausfließt, sind bis jetzt 6 Tuchfetzen herausgekommen. Ich werde zwar noch recht lange mit der Verwundung zu tun haben, aber gut wird es sicher wieder.

Diese Hoffnung Wagners hat sich erfüllt. Nachdem er in Zabern als geheilt entlassen worden war, kam er anfangs 1915 nach Rheinsheim zur Erholung ins Lazarett. Vom Truppenübungsplatz Munsterlager, wohin er von Niederhochstadt aus zu einem Offizierskurs abgestellt worden war, schrieb er zweimal, nämlich am 2. und 19. Mai 1915. Am 19. Juni teilte er mit, daß er in zwei Stunden wieder nach Frankreich gehe (dazwischen war er zum Vizefeldwebel befördert worden). Dort wurde er zum zweiten Male leicht verwundet und kam ins Garnisonslazarett in Augsburg, Juli 1915 meldete sich aber bald wieder zur Truppe und kam wieder an die frühere Stelle in den Vogesen. Im Dezember 1915 war er auf Urlaub zu Hause. Wie für den ersten Teil des Feldzugs, so hatte Wagner auch für den anderen eine Schilderung seiner Erlebnisse in Aussicht gestellt. Durch seinen Tod wurde diese offenbar verhindert. Aus seinen Briefen sei darum noch Folgendes nachgetragen. Von Zabern aus schrieb er:

Man kann sich eigentlich nicht wundern, daß es mit meiner Mutter so geht, war doch ihr Leiden schon alt und tief (Rückenmarks- und Gehirnleiden. Deswegen mußte sie in die Krankenanstalt Homburg gebracht werden, was dem jungen Mann großen Kummer machte). Trotzdem hatte ich immer noch Hoffnung, ihr später einmal ihren Lebensabend verschönern zu können; jetzt allerdings erlöscht auch das letzte Fünkchen, fühle ich doch, daß ich mich bald von meiner lieben Mutter trennen muß, wenigstens auf dieser Erde (Sie starb am 2. Dezember 1915). Leider habe ich mit meinem Wunsche, in ein pfälzisches Lazarett überwiesen zu werden, nicht durchdringen können. Ich bin vorgestern in ein Reservelazarett in  Bamberg überwiesen worden und werde morgen hier abreisen. Ich werde zuerst in die Pfalz fahren, zunächst nach Homburg, um meine Mutter nochmals aufzusuchen und dann auch ins Alsenztal. Ich werde mir erlauben, auch Sie aufzusuchen. Mein Arm ist wunderbar geheilt. Die 10 cm große Wunde ist in 8 Tagen gänzlich zugeheilt bis auf eine dünne Kruste. Ich werde nun in Bamberg vielleicht nochmals operiert, um die Sehne, die unglücklicherweise mit der Hand verwachsen ist, zu lösen, vielleicht gehts auch ohne dies.

Von Bamberg wurde er sofort zu einer Ersatztruppe nach Niederhochstadt und von da ins Reservelazarett zu Rheinsheim überwiesen. Hier hat er Verwendung gefunden als Schreibkraft des Stabsarztes. Der Posten sei für die Dauer des Krieges ganz angenehm, meinte er, „doch ich werde wahrscheinlich nicht hier bleiben“.

Leider machen mir meine Verwandten Vorwürfe, warum ich mich jetzt wieder freiwillig ins Feld melden würde, da ich als einziges Kind eine unglückliche Mutter so allein lassen müßte. Ich will ihrem Wunsche nachkommen und mich nun gegen meinen früheren Willen nicht freiwillig melden, sondern mich meinem Schicksal überlassen. Muß ich wieder hinaus, dann wird ausgerückt mit der gleichen Begeisterung, mit dem gleichen Mut, wie das erste Mal! Komme was kommen mag, alles Gott befohlen.
14.2.15. Ich bin immer noch in Rheinsheim. Heute kam der Stabsarzt vom Urlaub zurück, hat aber meine Entlassung nicht beantragt, sondern will mich weiterhin (allerdings unbestimmt wie lange) hier behalten. Wie er sagte entließe er mich nur ungern. Unter diesen Umständen ist es möglich, daß ich auf längere Zeit hier bleibe. Arm ziemlich in Ordnung, so ganz richtig ist es immer noch nicht. Narbe noch zu weich und Arm noch zu schwach. Wird tüchtig massiert nach warmem Bad. Ich fühle, daß es besser wird. Von meiner Mutter kann ich erfreulicherweise Gutes berichten. Sie soll gut aussehen, sehr deutlich sprechen, das Stottern soll sie fast ganz verloren haben und auch der Gedankengang ihrer Rede soll sehr logisch sein. Sie hat sich beschwert, daß ich nicht mehr schreibe. Ich habe es bis jetzt nicht getan, da sie das Lesen verlernt hatte. Jetzt schreibe ich wieder eifrig und hoffe auf ein Gesunden. Bisher hatte ich die Hoffnung aufgegeben, doch das Schicksal liegt in Gottes Hand, er wirds wohl machen.
29.2.15. Heute wurde ich als felddienstfähig mit Urlaubsempfehlung entlassen. Ich fahre am 25.02. von hier nach Niederhochstadt zu meinem Ersatzbatallion und hoffe ins Alsenztal zu kommen. In 4 – 5 Wochen glaube ich wieder im Schützengraben zu sein. Von meiner Mutter kann ich Gutes berichten. Ihr Zustand hat sich wesentlich gebessert und ich glaube das Recht zu haben, wieder ein völliges Gesunden zu erhoffen. Nach dem ich weiß, daß meine liebe Mutter in so guten Händen ist, kann ich den Schicksalsschlag leichter ertragen.
11.3. Niederhochstadt. Geht im Ganzen noch gut. Dienst ziemlich stramm, doch an alles gewöhnt man sich, Wetter abscheulich.
27.3. Meiner Mutter geht es weiter besser, war am Donnerstag dort, besuchte sie aber nicht auf Wunsch meiner Tante. Nach meinem letzten Besuch soll sie sich so sehr aufgeregt haben.
31.3. Vorerst bleibe ich hier, um bald zum Offizierskurs auf dem Übungsplatz Lüneburger Heide abgestellt zu werden. (Daselbst hielt er sich im April und Mai auf und wurde zum Vizefeldwebel und Offiziersaspirant befördert). Am Sonntag geht es wieder nach Süddeutschland, ich denke über Pfingsten daheim zu sein.
19.6. In zwei Stunden geht es wieder nach dem „lieben“ Frankreich. Übermorgen werden wir schon im Schützengraben sein, komme zum alten Regiment.
22.6. Aus Frankreich (Beney). Hier ist es ganz gemütlich beim Artilleriefeuer, wohnlich eingerichtet, Baracken mit Strohsäcken, mit Anlagen, Gartenhäusschen aus Ästen, Bänken u.s.w. Vom Kriege kann man hier auch schönes sehen. Wie Villen sind die Baracken an den Berg gebaut und fast könnte man meinen, man sei zur Erholung hier.
15.9. Im Schützengraben. Die Rothosen sind hier nicht ganz anständig. Wir haben sehr lebhaftes Artillerie- und Minenfeuer und es geht manchmal recht heiß zu, doch mit Gottes Hilfe werde ich aus dem Hexentanz wieder heraus kommen. Eben liege ich in der bombensicheren Höhle und lasse die „Lieblinge“ feste schießen, die werden schon wieder aufhören. Wir bleiben wahrscheinlich noch 3 Tage und noch länger diesmal in den Vogesen.
12.10. Morgen früh geht es wieder auf 9 Tage in den Schützengraben. Hoffentlich geht es auch diesmal wieder gut. Ich bin jetzt in einer Umgebung, die einem wieder Mensch sein lässt. Möbliertes Zimmer mit 9 Betten, Tisch, Waschtisch, Schrank, Sessel, Ofen, Spiegel usw. Alle Möbel selbst angefertigt, aber von Kaufmöbeln fast nicht zu unterscheiden. Tapeten und Bilder tragen zur Wohnlichkeit bei.  Für die schönen Herbsttage haben wir ein hübsches Gartenhäusschen auf luftiger Höhe und des Abends in tiefer Waldeinsamkeit. Im Frieden könnte man sich einen schöneren Aufenthalt nicht wünschen.
30.10. Im Allgemeinen ist es ruhig bei uns, doch manchmal gehts schon heiß zu und oft kann man es als ein Wunder betrachten, daß man lebend aus dem Hexenkessel heraus kommt. Aufpassen muß man zwar immer, aber das genügt nicht um mit heiler Haut heraus zu kommen, Gottes Schutz darf einen nie verlassen. Ich lege mein Schicksal ganz in seine Hände, er wirds wohl machen.
Der Wald, sonst findet man ja hier nichts, färbt und lichtet sich; letzteres ist ein großer Nachteil. Es fällt dadurch viel Deckung weg. Für feindliche Flieger gute Beobachtung. Da denke ich gerade an mein letztes Zusammentreffen mit Unteroffizier Limbacher (dessen Mutter eine geborene Linxweiler aus Mannweiler ist); er ist ganz in meiner Nähe (fiel später einen halben Tag nach Wagner). Einliegendes Bildchen zeigt einen Teil unseres Soldatenfriedhofs, wo so viele Kameraden unseres Regiments bestattet sind. Es ist sehenswert, wie würdevoll man sie hier zur Ruhe gebracht hat. Eine schönere Stätte hätte man ihnen auch auf dem heimatlichen Gottesacker nicht machen können. Von meiner Mutter habe ich in letzter Zeit keine Nachrichten. Die letzte Mitteilung war nicht so günstig. Doch auch in dieser Beziehung ist alles Gott befohlen.
Falkenberg bei Metz, 6.1.1916. Inzwischen hatte Wagner zur Beerdigung seiner am 2.12.15 verstorbenen Mutter Urlaub gehabt, kam aber zur Beerdigung zu spät. Unsere Division hat wieder einmal einen Umzug erleben dürfen. Als ich in Urlaub war, wußte ich nichts davon und fuhr wieder nach Frankreich hinein und marschierte dann von der letzten Bahnstation aus noch drei Stunden zu unserem früheren Waldlager. Erst dort habe ich erfahren, daß mein Regiment zurückgezogen worden sei. Wohin konnte mir niemand sagen. So füßelte ich halt wieder zurück nach Vigneulles und fuhr nach Metz. Dort erfuhr ich dann, daß ich nach Falkenberg muß, wo unser Batallion in Ortsunterkunft in Ruhe ist. Wir haben hier ganz nette Quartiere. Ich bin bei sehr netten Leuten einquartiert, obwohl man das nicht von allen Lothringern sagen kann. Dienst ist selbstverständlich, um die Manneszucht zu stärken und, wo sie fehlen sollte, wieder herzustellen. Wo wir hinkommen ist ganz ungewiß, auch der Mann. Wir müssen jeden Augenblick vorbereitet sein, obwohl es noch Wochen dauern kann. Nun mag kommen was will, wir werden auch in Zukunft unseren Mann stellen und unsere Pflicht erfüllen bis zum Äußersten.
30.1. Der Tod meiner lieben Tante in Bisterschied war für mich eine nicht minder schwere Heimsuchung als der meiner geliebten Mutter. Ich betrachtete sie schon immer als meine 2. Mutter, besonders nach dem traurigen Vorfall, durch den meine Mutter so leidend geworden ist. Auch diesen Schlag will ich in Gottvertrauen tragen und auf eine glückliche und sorgenfreie Zukunft hoffen. Die Gewissheit des Glaubens und die innere Empfindung, daß wir mit von uns körperlich geschiedenen Lieben in geistigem Verkehr stehen, lässt uns den Trennungsschmerz leichter ertragen und die Hoffnung im Glauben, daß wir uns einstens wiedersehen, macht uns stark. Daß Kamerad Ebersold auch sein Leben geopfert hat, schmerzt mich, schon seiner jungen Gattin wegen. Auch in diesem Fall sieht man, daß es ein Ausweichen vor der bestimmten Kugel nicht gibt. Der Stunde des Schicksals kann man nicht entgehen und deswegen braucht man auch keine übermäßige Vorsicht, die leicht in Feigheit auswächst.  Am Besten auf Gott vertraut, gewiß in unserer gerechten Sache und dann seine Pflicht erfüllt. So habe ich es bis jetzt gehalten und werde von diesem Grundsatz nicht abgehen (er ist ihm treu geblieben bis zum Tod).
Wie lange wir noch hier sind, weiß man immer noch nicht. Wir sind jede Stunde marschbereit. Vielleicht rollt der Zug bald. Von den verschiedenen Frontabschnitten hört man von rühriger Tätigkeit. Und ich glaube sicher, daß im Westen mit den nächsten Wochen Großes in Fluß kommt. Möge der Schlag, der uns zweifelsohne große Verluste bringen wird, zur Entscheidung führen. Neuigkeiten weiß ich fast keine mehr. Vor einigen Tagen erhielt ich das „Eiserne“!
Vor Verdun, 16.3. Von unserem Abrücken aus Ruhestellung Falkenberg haben Sie sicher schon gehört. Am 23.2. sind wir wieder nach Frankreich und ich habe mein unnützes Bummeln nun wieder mit eifrigster und zeitgemäßer Arbeit vertauscht, was mich einesteils freut, einesteils! Denn Sie können sich denken, daß es in Falkenberg menschlicher zu leben war als hier. Nun will ich in wenigen Zeilen ein bisschen erzählen. Wegen der Anfrage betreffs Fortsetzung meines Berichts glaube ich, schon mitgeteilt zu haben, daß ihm demnächst noch mehr folgt. Nur jetzt ist es mir leider nicht möglich. Vielleicht  kann ich täglich ein Stückchen schreiben. Ich werde es baldmöglichst tun. Mit Sonderzug fahren wir nach Westen in der gleichen Ungewißheit über das Wohin wie bei allen Transporten. Endlich hieß es in der Nacht:“Aussteigen“! Ich sah wieder einen Platz, den ich schon fast aus dem Gedächtnis zeichnen könnte. Aus militärischen Gründen nenne ich keine Orte! Nach siebenstündigem Marsche kamen wir in eine französische Ferme, in der die Etappe Vieh untergebracht hatte. Am anderen Tag ging es weiter, zunächst nach Süden. Ein Tag Ruhe. Am nächsten Tag auch weiteren Marsch wieder nach Norden. Schon pfeifen die Kugeln. Doch wir sind noch Reserve in 1. Linie. Verluste wenig! Angriff auch ohne unseren Einsatz geglückt. Kommen in der Nacht in das von Franzosen geräumte Dorf. Schon am frühesten Morgen: „Ohne Tritt Marsch“! in den so bekannten französischen Wald, mit seinem Urwaldcharakter. Wege, auch wenn es Knüppelwege sind, fast unpassierbar. Ob Gegner auch im Wald sind, ist unbekannt. Kaum nach einigen 100 Schritten kommt der Befehl: Vor auf Patrouille, weitere Befehle beim Regiment zu erfragen. Ich löste mich los von meiner Kompanie und ich war selbstständig. Schneidige Leute hatte ich mir ausgesucht und war gewillt, so einen kleinen Krieg für mich anzufangen, der große Radius, in dem ich mich bewegen durfte, war mir gerade recht. Der Urwald war mir weniger angenehm, aber es mußte gehen. Leider kann ich Ihnen heute all die Einzelheiten nicht mitteilen, folgen im Bericht. Heute nur soviel: ich kam nach 10 Stunden mit einer Menge Befehlen und Meldungen, die mir zum Teil von anderen Regimentern übertragen wurden, zum Regiment zurück, die natürlich wieder glaubten, ich sei abgeschossen oder abgefangen. Die Kompanie war nun am befohlenen Platz und für die Nacht Vorpostenkompanie. Auf Feldwache meldete ich mich freiwillig, da ich ja das Gelände kannte und für meine Kameraden war dies eine Erleichterung. Nach Einweisung ging ich, die Feldwache meinen Kameraden übergebend, zur Kompanie zurück. Nun hieß es für die Nacht ein Lager schaffen. Bitter kalt scheint es zu werden, nichts ist zu haben. Mantel, Decke und Zeltbahn kommt runter, ein paar Äste und Zweige als „Matratze“ auf den wässrigen Boden, damit man ein bisschen in der Luft liegt, Mantel angezogen, Zeltbahn um die Füße gewickelt, einen Baum als Deckung ausgewählt und „hingehaut“! Noch die Decke drüber, möglichst auch über den Kopf, und schon hat die Natur ihr Recht. Für heute nur soweit, ich hoffe bald mehr senden zu können. Zur Zeit bin ich wieder in einem solchen Sumpfloch, mit der Ausnahme, daß wenigstens einige Hütten da sind, aus Ästen und Lehm zusammengepappt. Dabei aber eine Mordsschießerei: Verluste verhältnismäßig gering. In der hießigen Gegend ist der Franzose 12 km zurückgeflutet, unzähliges Kriegsmaterial, Haubitzen uns überlassend. Leider habe ich wenig Zeit, muß heute besonders auf der Lauer sein. Ein andermal folgt das Versprochene.
Das Versprochene sollte nicht kommen. Am 25.3.1916 traf noch eine Karte von Wagner ein – die letzte. Kaum war diese in meinen Händen, da hatte ihn die Kugel schon getroffen. „Launisch ist das Schicksal, die Fügung und Führung Gottes oft unverständlich und zum Sorgenerfahren“, das waren seine letzten Worte, die er aus Anlaß des Todes von Karl Gödel schrieb. In fremder Erde ruht er aus von seinem kurzen und so schicksalsschweren Erdenleben. Gott gebe ihm die ewige Ruhe, er hat sie an seinen Eltern und an seinem Vaterland redlich verdient.