Kriegschronik von Oberndorf Teil XII.

Berichte aus Briefen der Kämpfer III.

Von Gustav Müller vom Bremricherhof, der bei Ausbruch des Krieges Soldat beim bayerischen Infanterieleibregiment war, bei dem auch sein Vater gedient hatte, trafen folgende Nachrichten ein:

Peronne, 28. X. 1914
Da ich eben etwas Zeit habe, will ich kurz unsere Erlebnisse schildern. Am 7. August wurden wir auf Station Saarburg ausgeladen. Wir rückten dann von hier in Märschen von 10 – 15 km täglich vor. Es ging hier leicht, weil wir geringen feindlichen Widerstand fanden. So ging es vor bis Badon-Villers, wo wir die erste große Schlacht hatten. Daran beteiligt war fast nur das Leibregiment. Wir hatten auch schon Verluste. Hier fiel auch Richard Wasem (vom Morsbacherhof). Trotz unseres glänzenden Sieges durften wir nicht weiter vorrücken. Auf feindlicher Seite standen 3 Armeekorps und wir waren nur die 1. Division. Wir wurden daher gefechtsmäßig zurückgezogen bis wieder nach Saarburg. Dort waren inzwischen 2 Armeekorps ausgeladen und wir konnten wieder vorwärts. Wir kamen mit vielen Gefechten vor bis Baccaret. Dazwischen waren wir 4 – 5 mal 2 – 3 Tage in Schützengräben. Hier kam der Befehl, das 1. Armeekorps solle zurück. Es kamen andereTruppen an unsere Stelle. Wir marschierten zurück und wurden auf Station Leiningen in Lothringen verladen. Nun gings über Metz, Diedenhofen, Luxemburg, Arlon bis Sinry. Von hier rückten wir in Tagesmärschen von 40 – 45 km durch Belgien und Nordfrankreich bis in die große Schlachtlinie vor. In 2 Gefechten kamen wir bis ungefähr 18 – 20 km vor Peronne. Seit dem 25. September liegen wir in Schützengräben und was das heißt, können sich die zu Hause garnicht vorstellen.
Man bekommt hier in der vordersten Linie nur nachts zu essen, muß in Regen und Wind heraußen liegen, hat den ganzen Tag Artilleriefeuer, kann sich tagelang nicht waschen und hat noch viele andere Freuden. Am 28. werden wir vom 21. Armeekorps abgelöst und marschierten hierher, wo wir einige Tage Ruhe haben. Wohin es geht weiß Gott.

Warenton, den 30. November 1914.
Der Krieg läutert und bessert unser Gemüt, welches bisher an interstaatlichen und religiösen Einrichtungen und Gebräuchen nörgelte. Wir stehen eben, vielleicht für längere Zeit hier im Zentrum unserer Schlachtfront. Unsere Gegner versuchten schon mehrmals unsere Reihen zu durchbrechen, wurden aber mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Sie sollen nur kommen, sie spüren schon den eisernen Druck unserer vorgeschobenen Flügel. Es hilft ihnen alles nichts. Schon mancher Tapfere tränkte mit seinem Herzblut unser Schlachtfeld und mancher wird noch folgen, aber aus dieser kostbaren Saat wird unser Vaterland erstehen.

Der unter Nr. 1 des Verzeichnisses der Kriegsteilnehmer aus Oberndorf erwähnte Gefreite Peter Wenz stellte mir sein Kriegstagebuch zur Verfügung, das seine Erlebnisse bis zu seiner Verwundung schildert. Daraus sei das Folgende mitgeteilt:

Die Zeit vom 1. Mobilmachungstag – 2. August – an bis zum Tage des Ausmarsches wurde von den Vorbereitungen zur feldmarschmäßigen Ausrüstung in Anspruch genommen. Abends 7 Uhr am 6. August erfolgte der Abschied des Regiments von seinem bisherigen Standort Landau und ein Umzug durch die Stadt, deren Bevölkerung ihm freudig zujubelte.
Am 7. August, 1 Uhr mittags wurde das Regiment am Hauptbahnhof zum Ausmarsch verladen. Die Fahrt ging durch die Südpfalz in Richtung Metz, wobei in Zweibrücken und Benningen Rast gemacht wurde. In Falkenberg kam man 12 Uhr nachts an, wo ich in einer Scheune übernachtete. Am nächsten Morgen wurde der Marsch nach Weiler angetreten. Der Vormittag des 9. August wurde mit Exerzieren ausgefüllt. Nachts 12 Uhr marschierte das Regiment auf Amelecourt, wo wir nach großer Anstrengung erst mittags 4 Uhr unser Mittagessen bekamen. Alsdann mußte ich sofort auf Vorposten und vernahm da den ersten Geschützkampf. Die Nacht brachten wir auf dem Felde zu. Mit drei Mann kam ich am 11. August auf Wache an der Straße und wurde abends spät um 17  Uhr abgelöst. In Labecourt, wohin wir alsdann marschierten, hatte ich ein gutes Nachtlager. Von da zogen wir am folgenden Tag auf Scherbecourt, nahmen hinter der vor dem Dorfe sich hinziehenden Bahn Aufstellung und bauten die Schützengräben aus. Da die Hitze sehr groß war, suchten wir mittags in einer Scheune des Ortes Unterkunft. Hier fanden wir zum Waschen Gelegenheit. Nach einem sehr beschwehrlichen Aufstieg erreichten wir am Abend Eichhof und übernachteten hier unter Zelten. Unser Aufenthalt daselbst dauerte bis zum Mittag des nächsten Tages. Der 1. und 2. Zug ging als Reserve des 2. Batallions vor und wir erfahren die Nachricht von dem Tod des Hauptmanns Jägerhuber und eines Unteroffiziers Brand. Abends werden wir wieder nach Eichhof zurückgenommen und bilden hier die Reserve des 3. Batallions und die Bedeckung des Regimentstabes. Zur Ablösung der 7. Kompanie gingen wir am 14. August vor. Mit dem Hauptmann ging ich die Stellung ab. Alsdann bezogen wir Schützengräben und nahmen die Beerdigung der Gefallenen der 7. Kompanie vor. Der Nachmittag des 14. und der Vormittag des 15. August wurde mit dem Ausbau der Schützengräben zugebracht, als dann Patrouille gegen den Feind. Um halb 5 Uhr morgens erfolgte der Befehl zum Abrücken. Der Marsch ging rückwärts nach Berg, weil die ganze Stellung aufgegeben wurde. Bei dem Hofe in der Nähe von Berg bezogen wir mittags 5 Uhr Biwack unter Zelten. In der Nacht stellte sich Regen ein, der den ganzen 17. August anhielt. Nur zum Essen kamen wir aus den Zelten. Am Abend bezogen wir auf dem Hofe Quartier, wo ich ein gutes Lager fand.
Um 9 Uhr des 18. August gingen wir zur Bedeckung des Divisionsstabes bei Mörchingen ab. Bei Rockingen nahm das Batallion Bereitschaftsstellung ein, um dann abends in die Kaserne zu Mörchingen einzuziehen. Hier war das Lager nicht nur schlecht, sondern auch von Wanzen belebt. Am folgenden Tage wieder Bereitschaftsstellung bei Rockingen. Von morgens 4 Uhr ab bis spät abends hatte das 5. Infanterieregiment vor uns ein Gefecht zu bestehen. Heftige Kanonade! Die Nacht, die sehr kalt war, brachten wir bis um 9 Uhr im Schützengraben zu und schliefen dann bis um 5 Uhr auf dem Boden. Alsdann erfolgte der Abmarsch zum alten Lagerplatz. Zunächst wurde gegessen und dann in die Stellung des 2. Batallions abgerückt. Von 7 – 11 Uhr des 20. August dienten wir als Unterstützung hinter der Mitte. Die Schlacht war jetzt im Gange. Die ersten Granaten und Schrapnelle kamen geflogen. Ausgeschwärmt gingen wir vor, um uns hinter Mörchingen zu sammeln. Der Anblick des Schlachtfeldes, der sich uns hier darbot, war ein schrecklicher. Beim Überschreiten der ersten Anhöhe wurde ich von einem Schrapnell durchs Bein getroffen. Ich schleppte mich, so gut es ging, bis ich bewußtlos liegen blieb. Beim Wiedererwachen befand ich mich im Lazarett zu Mörchingen, wo ich verbunden wurde, nach dem ich bis 9 Uhr nachts auf dem Boden gelegen hatte. In Mörchingen blieb ich bis zum 22. August, wo ich um 8 Uhr mittelst Auto ins Lazarett nach Zweibrücken fuhr. Am 24. August besuchte mich hier meine Mutter. Als ich soweit hergestellt war, daß ich einigermaßen gehen konnte, kam ich in das Reservelazarett nach Rockenhausen. Am 28. Oktober trat ich wieder bei meinem Regiment in Landau ein und zwar bei der ersten Ersatzkompanie. Vom 18. Dezember an ging ich zum zweiten mal ins Feld und kam zur Armeegruppe Falkenhausen, die in den Vogesen stand.

Aus den Briefen des Unteroffiziers Ludwig Zepp von Oberndorf ist Folgendes zu entnehmen:

Riningen, 15. Oktober 1914.
Bei unserer Feuertaufe hatten wir Glück: Da hagelte es nur so Granaten und Schrapnells, aber wir kamen durch und verloren niemand. Ungünstiger war in der vorigen Woche ein Vorpostengefecht. Da hatten wir leider 3 Tote und 2 Verwundete. Aber deshalb lassen wir den Mut nicht sinken, denn solches kommt vor. Es geht ja fürs geliebte Vaterland.
Deutsch-Avricourt, 20. Oktober 1914.
Diese Woche hatten wir ein Gefecht. Schloß Chatillion haben wir gestürmt, den Besitzer, weil er einen Mann von uns mit dem Jagdgewehr erschossen hat, niedergestochen. Wir verloren einige Leute, ungefähr 10 Mann, die Franzosen 3-400 Tote und Verwundete. Feige Gesellen sind sie. Wir waren 4 Tage fort, heute kehrten wir wieder gesund zurück. Die Franzosen wollten zwischen Cyre und Varl, 3 Stunden von hier, durchbrechen, jetzt sind sie wieder verschwunden.
Ich glaube, die Oberndorfer Gemeinde wird auch ihrer tapferen Vaterlandsverteidigern gedenken und sie mit einer kleinen Liebesgabe an Weihnachten erfreuen. Man weiß zu Hause gar nicht, wie wohl und zufrieden man ist, wenn man aus der Heimat etwas erhält.
4. Dezember 1914.
Bei Patrouillengängen stoßen wir öfter mit den Franzosen zusammen. Heute vor 8 Tagen haben sie auf mich und 8 Mann, die mit auf Parouille waren, mindestens 100 Schuß gemacht. Es pfiffen die Kugeln nur so um die Ohren. Getroffen haben sie niemand. Die Luder lagen im Walde versteckt und schossen auf über 1000 m Entfernung.
12. Dezember 1914.
Eines macht uns zu schaffen: das regnerische Wetter. Da bleibt man bald im Schmutz stecken. Es ist nur gut, daß wir nicht soviel zu laufen haben, hier als Grenzschutz; aber eine böse Arbeit ist es Schützengräben anzulegen. Wir graben uns hier fest ein. Das sollten Sie mal sehen, was für eine gute Stellung wir haben. Sollten die Franzosen hier einen Durchbruch versuchen, so ginge es ihnen schlecht. Gerade in der letzten Zeit versuchten sie hier durchzubrechen, wurden aber immer wieder mit großen Verlusten zurückgeworfen. Wir haben in unserer Kompanie 2 französische Dragoner gefangen. Dabei haben sie den ganzen Tag mit Artillerie und Infanterie unseren Vorposten beschossen, ohne jemand zu treffen.
19. Dezember 1914.
Heute früh vom Vorpostendienst zurück. Jetzt 2 Tage Ruhe. Wir sind immer 6 Tage von hier weg. 2 Tage Bereitschaft, 2 Tage Reserve und dann 2 Tage Ruhe. Als wir heute morgen zurückkehrten, da hörten wir die großen Siegesnachrichten. Das Strafgericht Gottes ist plötzlich über unsere Gegner gekommen. Wohl ein feierliches Gefühl für einen jeden von uns, nach einem halben Jahr die Glocken einmal wieder zu hören nach der großen Entscheidung!
23. Dezember 1914.
Heute brannten wir unser kleines Christbäumchen an. Morgen am heiligen Abend auf Vorposten vorm Feind. Unsere Feier am 2. Weihnachtstage in Deutsch-Avricourt, 2 Tage Ruhe, wenn uns die Franzosen in Ruhe lassen. Herzlichen Dank für die Liebesgaben. Die Freude, wenn man von daheim etwas bekommt, ist größer als man daheim glaubt. Kritik an dem Beschluß´der Gemeinde Oberndorf ihren tapferen Kriegern, die draußen vor dem Feind stehen und für ihr Vaterland und ihre Lieben Gut und Blut einsetzen, zu üben, möchte ich mich enthalten (siehe oben). Es ist ja nicht wegen der kleinen Gaben, die jeder bekäme, es würde aber jedem eine große Freude gewesen sein, die die Oberndorfer Gemeinde ihren Söhnen bereitet hätte.
Zepp wurde beim 4. bayerischen Landwehrinfanterieregiment zum Segeanten befördert. Anfang 1915 wurde das Regiment nach Fonleray, eine dreiviertel Stunde von Deutsch-Avricourt verlegt, nach dem es 23. Wochen Dienst im Schützengraben gemacht hatte, und war gut untergebracht.
10. März 1915.
Der Kraftverkehr war 14 Tage gesperrt. Wir kamen aus der Ruhe 14 Tage fort und haben unterdessen Schweres durchgemacht, den Franzosen Gelände abgenommen und sind, Gott sei Dank, wohlbehalten wieder hier, wo wir zum Grenzschutz den alten Platz wieder einnahmen. Nun haben wir den Krieg auch von der bösen Seite kennen gelernt und erfahren, was unsere Kameraden im Norden und Osten auszuhalten haben. Aber unsere Pflicht haben wir erfüllt als Soldaten und volle Anerkennung bei den Vorgesetzten gefunden.
25. März 1915.
Jetzt haben wir nach 8 anstrengenden Tagen Vorpostendienst auf einige Tage wieder ein gutes Bett. Es ist ein Elend mit dem Regenwetter. Auch die Operationen sind dadurch erschwert und ziehen sich in die Länge.
3. April 1915.
Die Franzosen vor uns zeigen große Rührigkeit, besonders mit ihrer Artillerie. Beschossen heute früh ein Dorf vor unserer Front, in dem an 900 französische Einwohner sind und wir eine Feldwache haben. Einige Einwohner wurden schon getötet. Unsere Stellungen greifen sie nicht an, denn sie würden sich verbluten.
8. Mai 1915.
Welche große Freude wird bei Ihne daheim der große Sieg im Osten gebracht haben, der, wie wir bestimmt hoffen, den heiß ersehnten Frieden bringen wird!
10. Mai 1915.
Wenn Italien nicht dazwischen spielt, wird, wir hoffen es alle, das Ende nicht mehr fern sein.
19. Mai 1915, Köln am Rhein.
Bin hierher versetzt zu den Pionieren. Es kann jeden Tag weggehen nach Rußland, Frankreich oder gar Italien. Ist egal. Wir sind bereit: Hiebe bekommen sie alle.
30. Mai, Belgien.
Wir sind seit gestern Abend auf der Fahrt nach hier. Fahren heute Abend zurück und kommen morgen Nachmittag an unseren Bestimmungsort. Tod-müde!
6. Juni 1915, Frankreich.
Von Belgien nach Frankreich zurück. Hier sieht es böse aus. Es gibt nichts mehr zu kaufen, da alle Orte ringsum voll Truppen liegen. Wir wohnen auf freier Strecke in einem Eisenbahnwagen. Sehr heißes Wetter, sehnen uns nach Regen. Bis zum Frieden wird es noch weit sein. Wir sind ungefähr 10 – 15 km hinter der Front.
18. Juli 1915, Challerange.
Hier ist seit einigen Tagen stürmisches Wetter mit Regen. Die Heuernte, sonst gibt es hier nichts, ist durch das Militär eingebracht. Wir sind gleich hinter den Argonnen und da ist meistens schon Wald. Eine baldige Beendigung des großen Kampfes ist nicht festzustellen. Unsere Armee, zu der wir gehören, die Kronprinzenarmee, hat in den letzten Tagen schöne Erfolge gehabt: 7000 Gefangene, ca. 10 Geschütze. Unsere Gase, mit denen wir schon so oft erfolgreich angegriffen haben, spielen eben wieder eine große Rolle.
24. Juli 1915.
Wir glauben und erwarten, daß in den nächsten Tagen die große Entscheidung fällt und wir dem siegreichen Ende des Krieges nahe gerückt sind. Hoffentlich dürfen wir dieses Jahr als Sieger heimkehren.
31. Juli 1915.
Wir sind nun nach 4 Tagen und 4 Nächten Fahrt ganz oben in Ostpreußen angekommen, in einigen Minuten fahren wir über die russische Grenze. In einer Stunde erreichen wir Kolno.
21. August 1915.
Nach den großen Siegen hier im Osten kann man von einem baldigen Frieden sprechen und vom Wiedersehen in der Heimat. Wir sind glücklich aus dem Osten zurückgekehrt und haben den alten Platz bezogen in Nordfrankreich. Wir sehnen uns nach Frieden. Die Lage ist günstig und unsere Gegner sind auch kriegsmüde.
18. September 1915, Novion-Porzien.
In den Operationen bzw. Fortschritten auf den Kriegsschauplätzen ist eine gewisse Ruhepause eingetreten. Nur glaube ich, daß es am baldigen und endgültigen Sieg nichts ändert. Hier steht ein großes Unternehmen bevor und ich glaube, die nächsten Wochen werden hierzu Gewißheit bringen. Wir liegen mit dem 36. Pionierregiment, welches die ganze Kriegszeit schon im Osten mit den selben Mitteln kämpfte wie wir im Westen, vor Reims (Die Andeutung von dem großen UNternehmen verwirklichte sich in den großen Herbstoffensiven 1915). Wir vertrauen auf Gott und hoffen, daß er uns wie bisher zu neuen und sicheren Siegen verhelfen wird. Bei uns werden große Vorbereitungen getroffen und fest gearbeitet. Wir alle klagen nicht und wenn auch Tag und Nacht gearbeitet wird, so sehnen wir uns alle nach einem recht baldigen und siegreichen Ende. Ein jeder hat genug und auf allen Gesichtern kann man sehen, daß keine echte Lust mehr vorhanden ist zum weiteren Fortführen des schrecklichen Mordens.
24. September 1915.
Die große Offensive der Franzosen und Engländer ist wieder in die Brüche gegangen. Überall mit großen Verlusten zurückgeschlagen, dabei 10 000 Mann Gefangene gemacht. Aber sie haben auch Erfolge erzielt. Außer viel Material haben sie auch einige Geländegewinne gehabt und zwar vor uns, zwischen Argonnen und Reims. Sie drangen nach fast 70stündiger Artillerievorbereitung in einer Frontbreite von 25 km in unsere Hauptstellung ein. Ich glaube, nach Aussagen von Kameraden und französischen Berichten haben sie von uns ebensoviele gefangen. Gescheitert ist der Durchbruch auf der ganzen Linie. Es war ein schrecklicher Kanonendonner drei Tage lang. Die Erde bebte sogar bei uns, liegen wir doch auf der Ringbahn, auf die sie es abgesehen haben. Jetzt haben wir ungeheuere Truppenmassen vom Osten bekommen, schon 8 Tage und Nächte ein Zug hinter dem anderen und ich glaube, es steht etwas Großes bevor. Man hört, Mackensen ist da, seine Truppen seien es, die ankommen (stimmte nicht!).
13. November 1915, Montigny.
Wir haben hier sehr viele Kartoffeln geerntet und besonders viel Obst. Von letzterem sandte ich meiner Frau bei einem Transport nach Ludwigshafen 1 Ztr. Äpfel. Sie freute sich riesig. Wir wurden vor 8 Tagen aus Reims weggenommen und stehen vor Verdun. Am ersteren Orte brachten wir drei Wochen zu; gleich rechts der Durchbruchsstelle der großen Offensive brachten wir den Franzosen furchtbare Verluste bei, nach Schweizer Blättern 17 000 Tote und Verwundete. Hier kommt es gerade so. Es bleibt ein Stellungskampf. Erfreulich ist, das bei den Kampfmittel, die wir verwenden, wir fast keine Verluste haben. Wir arbeiten öfter Tag und Nacht und nun steht wieder etwas bevor in den nächsten Tagen.

 

 

Kriegschronik von Oberndorf Teil X

Mitteilungen aus Briefen der Kämpfer II.

Von Oswald Linxweiler. Oswald Linxweiler hatte vor dem Krieg bei der Matrosenartillerie in Friedrichsort bei Kiel gedient, wurde als Bootskanonenführer während des Feldzugs zum Leutnant befördert, stand an der flandrischen Küste bei Lombardzydje, machte dann die Kämpfe an der Somme mit, wobei er am rechten Oberarm verwundet wurde. An Auszeichnungen erhielt er das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse und den bayerischen Militärverdienstorden IV. Klasse.
Hier sein Feldbrief aus Belgien:

3. November 1914

Endlich, endlich, nachdem ich drei Wochen lang vergeblich gewartet, hat sich jetzt wieder die „Alsenzer Zeitung“ eingestellt. Sie erscheint zwar noch nicht regelmäßig – heute erhielt ich z.B. die Nummern vom 1. und 28. Oktober zusammen – aber was machts: Neues aus der Heimat bringt sie und man erfährt, wie es lieben Freunden geht, die auch hinausgezogen.
Fünf Wochen bald ist`s her, daß ich meine Feuertaufe erhielt. Es war vor M…. Ich hielt mit meiner Batterie auf der Straße, vor und hinter uns Truppen. Langsam schiebt sich der Zug vorwärts. Seitlich ganz in der Nähe sendet eine schwere Batterie ihre ehernen Grüße aus. Drüben aber ist es noch ziemlich stille. Nur dann und wann ein dumpfes Dröhnen aus der Ferne. Es geht weiter. Man munkelt, daß unsere Truppen schon in der Stadt sind. Das wäre was, nicht bei den ersten sein zu dürfen! Die Häuserreihe an der Straße hört auf; vor uns liegt der Kanal – und dahinter – Hurra! M… Schnell hinüber! Aber der Feind versucht, es uns schwer zu machen. Unaufhörlich schickt er seine Granaten herüber. Links und rechts der Brücken schlagen sie ein, hohe Wassersäulen hochtreibend. Darüber platzt Schrapnell auf Schrapnell, die Kugeln sausen pfeifend gegen die Häuser. Die erste Brücke ist gesprengt. Auf dem diesseitigen Pfeiler hält unser Divisionsstab, auf dem anderen schlägt krachend eine Granate ein. Wir sehens im Vorbeieilen – und haben unsere Kriegserfahrung gemacht: nicht jede Kugel trifft. Einzeln muß die Infanterie über die Brücken hinweg – wir mit unseren Geschützen nach. Wir sind drüben; es ist gut gegangen. Viele folgen nicht mehr, denn mörderischer wird das feindliche Feuer. Kaum eine Sekunde lang setzt es aus – und immer auf die Brücken. Sie schießen gut, die Belgier, wissen sie doch jede Entfernung hier genau. Krachend stürzt ein Brückengeländer in das Wasser.
Möglichst in Deckung fahren wir eine Häuserreihe entlang, an einer Kompanie Marine-Infanterie vorbei. Aus einer Gruppe heraus werde ich beim Namen gerufen. Es ist ein Alsenzer, der mich erkannt: Wendling. Ein kurzer Händedruck – es geht weiter; doch bald heist es: Halten! Die Stadt ist derart unter Feuer, daß keine Artillerie hinein kann. Ich erhalte Befehl, in Deckung zu gehen. Wir schlagen die Türen der nächsten Häuser ein und machen es uns darin gemütlich. Ja, gemütlich, denn die Schießerei stört uns schon garnicht mehr. Daran gewöhnt man sich furchtbar schnell. Wir freuen uns, wenn die Schrapnellkugeln auf dem Pflaster herumflitzen oder zischend ins Wasser sausen. Noch mehr Spaß machen die Stoßböden der Schrapnells, Eisenscheiben, die meistens ganz bleiben, und dann sekundenlang mit schnurrendem Geräusch auf der Straße „drillern“ wie die „pälzer Buwe“ sagen würden.
Neben uns hält ein Maschinengewehrzug, Er muß abwarten wie wir. Sein Führer, ein Oberleutnant, beobachtet eine Kirche auf der anderen Seite des Kanals und entdeckt, daß zwei Drähte auf deren Turm führen. Sollte der Feind da noch einen Posten haben? Gute Beobachtung hat er auf alle Fälle; denn sobald sich eine Gruppe auf der Straße blicken läßt, schickt er ihr ein paar Schrapnells herüber, ja auf einzelne, die die Brücke überspringen, setzt er seine Artilleriegeschosse. Sollte ihm alles von da droben gemeldet werden? Möglich ist es schon; denn von dem Turm aus muß sich der Kanal gut übersehen lassen. Na, dem Burschen wollen wir das Handwerk legen! Ich bitte den Oberleutnant, hinüber gehen zu dürfen. Gerne gestattet er mir es. Ich nehme mir einige meiner Leute, ein Maschinengewehrschütze läßt sich auch nicht zurückhalten, und im Laufschritt geht es hinüber über die Brücke. Hinter uns spritzen „unsere“ Schrapnellkugeln auf das Pflaster – zu spät, um uns schaden zu können. Die Kirchentür ist offen; ein Posten bleibt zurück, Pistole oder Gewehr im Anschlag stürzen wir die Turmtreppe hinauf. Ich öffne eine Tür – ein leerer Raum, d.h. was wir suchten, fanden wir nicht. Die Kerle waren rechtzeitig ausgerückt; zurückgelassen hatten sie alles: Mäntel und Mützen, Vorratstaschen und Proviant. Auf einem Tische standen halbgeleerte Tassen mit Kaffee, daneben lag noch das Brot – eine gestörte Mahlzeit. Wir durchsuchten die ganze Kirche bis zur Turmspitze – vergebens. Pfeifend sausen die Kugeln um den Turm oder schlagen prasselnd gegen die Böden. Die Telefonleitung wird zerstört – die Apparate waren schon abgehängt. Ich sammle meine Leute. Nun wieder zurück! Ich springe vor auf die Brücke; wie ich sie betrete, schlägt rechts, nur wenige Meter von mir, eine Granate ins Wasser. Ich kriege einen tüchtigen Spritzer ab – und bin zufrieden damit. Wäre sie auf festen Boden gefallen, so wären mir Granatsplitter und Steine um die Ohren gesaust, denen ich kaum entgangen wäre. Im gleichen Moment platzt links neben mir ein Schrapnell. Meine Leute stutzen. Ich bin drüben und winke ihnen. Einzeln überspringen sie die Brücke – und unversehrt kommen sie alle an. Nun mögen sie weiter bollern.
Als ich zu den Maschinengewehren kam, war die erste Frage: „Warum habt ihr denn geschossen?“ Als wir verneinen, wird uns allgemein versichert, daß bei der Kirche deutlich Gewehrfeuer zu hören war. Des Rätsels Lösung fiel nicht schwer. Die Burschen hatten, als sie sahen, daß man ihnen auf den Leib rückte – sie konnten vom Turm aus genau beobachten, was bei uns vorging – schleunigst Reißaus genommen, hatten sich in ein Haus neben der Kirche geflüchtet und von da aus den Turm beschossen. Die Kugeln, die wir pfeifen gehört und die wir für Schrapnellkugeln gehalten, hatten uns wohl die von uns Vertriebenen gesandt. Am nächsten Tage begegneten uns dieselben vielleicht als brave Bürger mit der rührenden Bitte: nit dodschießen in den Straßen von M…
Während unserer kleinen Streitfahrt, von der uns das Kriegsglück alle unversehrt zurückkehren ließ, hatte meine Batterie unter den Zurückgebliebenen den ersten Verwundeten bekommen. Einer meiner Geschützführer hatte mit dem Doppelglas den Kirchturm beobachtet und war dabei einige Schritte aus dem Hause getreten. Ein Sprengstück schlug ihm eine tiefe Wunde in die rechte Hand und einen Teil des Glases glatt weg, ohne ihn glücklicher Weise im Gesicht im geringsten zu verletzen.
Kaum waren wir angekommen, als von der Brücke, die wir übersprungen hatten, ein Hilferuf herüber drang. Ich sah, daß er von einem Verwundeten herkam und schickte meinen Sanitätsmaaten mit einigen Leuten und einer Tragbahre nach der Brücke; während ich Vorbereitungen für die Unterbringung traf, ruft es von neuem nach Hilfe. Einige meiner Matrosen springen zu der Stelle, ich folge nach – und sehe ein grausiges Bild. In einem Hause, gleich bei der Brücke – Blutbahnen zeigten mir den Weg – liegen stöhnend 5 brave Soldaten, darunter 3 meiner Jungen. Ein Motorradfahrer war es, der uns gerufen hatte. Eine Schrapnellkugel hatte ihn, als er über die Brücke fuhr, am linken Beine verletzt und freudig hatte er die begrüßt, die ihn von der gefährdeten Stelle wegbringen wollten. Da, gerade als sie ihn auf die Tragbahre legten, platzte ein Schrapnell über der Gruppe. Eine Kugel verletzte ihn zum 2. Male am linken Bein, ein Splitter zerschmetterte ihm das rechte. Zwei weitere Leute hatten leichtere Verletzungen davongetragen; der Sanitätsmaat war schwer verwundet. Er ließ sich nicht verbinden. „Mit mir ist es aus!“ Er hat recht behalten. Lange schon deckt ihn Feindeserde. Dem braven Maschinengewehrschützen, der noch vor wenigen Minuten bei der Untersuchung der Kirche immer tapfer vorausgegangen war, hatte eine Kugel die Lunge durchschlagen. Stöhnend rief er immer wieder aus: „Ich wollte doch noch mithelfen!“ Braver Mann! Du wirst es nicht mehr können! Ob er noch lebt? Ich weiß es nicht.
Ich kniee bei dem Motorradfahrer; ich halte eine kalte, blutige Hand, sehe in trübe, wehmütige Augen. Da leuchten sie auf; „Kamerad es ist fürs Vaterland!“ Wie schwer wiegen die paar Worte in solchen Augenblicken! Ich werde sie nie vergessen. Er nennt mir seinen Namen: Freiherr von Hünefeld. Welche Freude war es für mich, vor einigen Tagen im Hamburger Fremdenblatt von ihm zu lesen, daß es ihm gutgeht. Da erfuhr ich auch näheres über ihn. Er ist bekannter Dramaturg und war als freiwilliger Motorradfahrer in den Krieg gezogen. Er war einer schweren Batterie zugeteilt, die an jenem Tage vor M… in Stellung gegangen war. Da man nicht wußte, ob die Stadt noch zu beschießen, oder schon ganz vom Feinde geräumt sei, hatte er sich freiwillig gemeldet, trotz des mörderischen Feuers, in die Stadt zu fahren und hierüber Meldung zu bringen. Auf dem Rückwege hatte ihn die feindliche Kugel niedergeworfen. Einer meiner Leute brachte seine Meldung zur Batterie. Für die brave Fahrt hatte Hünefeld das Eiserne Kreuz erhalten. Wie gönne ich es ihm! Er hat es verdient!
Ein paar Stunden im Feuer! Was hatten sie uns nicht schon alles erleben lassen! Was sollte noch folgen bis zu dem Augenblick, da ein Auto an uns vorbeifuhr und ein Offizier daraus uns zurief: Weiße Flagge! Was bedeuteten doch die beiden Worte für uns? Ziel erreicht! Antwerpen, das Uneinnehmbare, zu unseren Füßen. Lawinenartig pflanzte sich das „Hurra“ fort durch die Schützengräben von Stellung zu Stellung.
Jetzt liegt alles hinter uns. Wir halten brav Wacht an feindlicher Küste. Sollte man uns noch länger da behalten und uns unser „liebster“ Feind von drüben nicht stören, werde ich bald einmal mehr erzählen – als kleinen Dank für die ersehnten Nachrichten aus der lieben Heimat.
Wenn „sie“ aber kommen, – wie wollen wir sie begrüßen! Es werden andere Grüße sein, wie die, die ich diesen Zeilen mitgebe.

Ihr Oswald Linxweiler

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Eine Bootskanone beim Abfeuern

Kriegschronik von Oberndorf Teil IX

Mitteilungen aus Briefen der Kämpfer I.

Wachtmeister im 5. bayerischen Feldartillerieregiment, Sebastian Friedrich aus München, Schwiegersohn des Schreiners Wolfänger aus Oberndorf stellte folgenden Bericht zur Verfügung:

Nach dem am 2. August die offizielle Kriegserklärung erfolgt war, begann überall in den Kasernen eine fieberhafte Tätigkeit. Die Mannschaften wurden vollständig eingekleidet, die Pferde, Geschütze und Fahrzeuge wurden hergerichtet und kriegsmäßig beladen. Am 7. August war die Batterie marschbereit und am 8. August 2 Uhr erfolgte der Abmarsch aus der Kaserne, nach dem vorher von Weib und Kind Abschied genommen war. In der Nacht erfolgte das Verladen der Geschütze und Pferde und um 5 Uhr morgens der Abmarsch aus Landau. Die Mannschaften wurden am Bahnhof vom Roten Kreuz bewirtet, die Wagen, mit Kränzen geschmückt, machten einen festlichen Eindruck. Überall herrschte große Begeisterung. Sehnte sich doch jeder Soldat, baldmöglichst an den Gegner zu kommen.
Um 5 Uhr nachmittags kamen wir mit 6 Fliegern in Falkenberg an. Hier herrschte allgemeine Begeisterung, als man von dem Siege der Kavalleriedivision bei Lagarde hörte, Gesang des Liedes „Deutschland, Deutschland über alles“! Marsch nach Bischdorf. Hier Aufenthalt bis Montag, 9. August früh. An diesem Tag wurde ein Mann erschossen, der auf Soldaten schoß. Vom 2. Batallion des 17. Infanterieregiments wurde Amelecourt eingeäschert, weil von der Bevölkerung 7 Mann verwundet worden waren, darunter einer tödlich. Am 10. August früh 2 Uhr Abmarsch nach Gerbecourt, hier wurde die Abteilung dem 6. Infanterieregiment zur Verfügung gestellt. Mann und Pferd hatten viel unter Durst zu leiden. Die 3. Division hatte den Abschnitt Delme – Chateau Salines zu sicher. Ich mußte nach Hamport fahren, um Lebensmittel zu fassen. Die Ortschaften waren meißt aus Furcht vor Beschießung verlassen. Die Bewohner sprachen meist französisch. Meine an der Berlitz-School erworbenen Kenntnisse im Französischen konnte ich sehr gut verwenden.
Am 17. August Aufenthalt im Quartier. Hier wurde der Tagesbefehl der 3. bayerischen Infanteriedivisionbekannt gegeben, der also lautete:
Divisionstagesbefehl
„Soldaten der 3. Division! Kameraden, jetzt gehts los. Wir stehen vor dem Feinde, der ruchlos unser Vaterland bedroht. Lang genug und mit Aufbietung aller Kräfte haben Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften gearbeitet. Vertrauensvoll können wir den kommenden Ereignissen entgegensehen mit Zuversicht und Gottvertrauen. Wer uns angreift, der soll mit dem Bajonett im Leibe dafür büßen. Für Deutschlands Größe und unseres eigenen Vaterlandes Ruhe setzen wir den letzten Blutstropfen ein, das vertraue ich“,
von Breitkopf, Generalleutnant und Kommandeur der 3. bay. Infanteriedivision.

Am 19. August Quartierwechsel nach Varey. Hier wurde die Batterie zum Schutz der 6. Infanteriebrigade detachiert. Am 18. August früh 4 Uhr Abmarsch der Bagage nach Hubedingen. Die Kolonne fast 4 km lang. Gegen Mittag setzte die erste heftige Kanonade bei Chateau – Salines ein. Der Gegner hatte starke Erdwerke errichtet und die Erstürmung derselben hätte uns viel Blut gekostet, deshalb wurde von Seiten der Oberleitung der Rückmarsch befohlen. Wirkt auch der Rückzug niederdrückend auf manchen Mann, so mußte er doch befohlen werden aus strategischen Gründen, wollte man doch die Franzosen aus ihren Maulwurfslöchern herauslocken und ihnen eine Falle stellen. Das war der erste große Sieg für die Franzosen, wie man in französischen Zeitungen lesen konnte, aber ohne Schuß. Starke Infanteriemassen folgten uns. Bei Mörchingen nahm die Division Stellung und konnte getrost der Annäherung des Feindes harren. Um 3 Uhr nachmittags am 18. August wurde kehrt gemacht nach Varey. Um 5 Uhr setzte heftiger Regen ein. Nachts 11 Uhr kamen wir vollständig durchnässt dort an. Ich schlief auf meinem Futterwagen und fror wie ein Sperber. Doch lange sollte mein Schlaf nicht dauern, denn um 12 Uhr 30 wurde ich wieder durch unsere Batterie-Dienstwache, Einjähriger Naumann, geweckt. Ich mußte noch meinen Wagen abladen, um füttern zu können. Um 2 Uhr Nachts Abmarsch der Bagage (Lebensmittel und Futterwagen) nach Helliner-Diefenbach (62 km). Hier traf ich wieder die ersten Einwohner die deutsch sprachen. Ein echtes deutsches Dorf. Erleichtert konnte man wieder aufatmen, wußte man doch, daß die Einwohner nicht feindlich gesinnt waren, wie die von den welschen Ortschaften. In Hampont wurde aus einem Haus, das noch im Bau begriffen war, auf zwei deutsche Soldaten geschossen, worauf es sofort angezündet wurde. Ein anderes wurde niedergelegt. Hier nahm S.M. König Ludwig III. von Bayern den Vorbeimarsch seiner siegreichen Truppen am 19. September entgegen. Es machte auf die Truppen einen tiefen Eindruck den großen König, die Mütze auf dem Haupt, den Marschallstab in der Rechten, zu sehen. Um 10 Uhr 30 kamen wir in Helliner an, wo auf der Straße abgesessen wurde. Unterkunft fanden wir in Finkbach. Um halb 8 abends waren wir marschbereit und gingen in strömendem Regen nach Wintringen. Dahin wurden die Lebensmittel verbracht und dann nach Diefenbach zurückgeliefert. Hier teilte ich das Quartier mit 1 Unteroffizier und 2 Mann. In Rohrbach hatten wir Festungstag. Da durch eine abgeworfene Fliegermeldung der Anmarsch mehrerer Divisionen aus Nancy gemeldet wurde, wurde erhöhte Marschbereitschaft angeordnet. Um 6 Uhr Abends gings auf Mörchingen, wo wir um 10 Uhr in Kasernen ankamen. Auf der Straße Berg – Soontücken wurden die Lebensmittel ergänzt, dann der Rückmarsch auf Ersdorf angetreten, wo wir um 1 Uhr ankamen. Bis 6 Uhr konnten wir schlafen. Dann mußten wir uns wieder marschbereit machen. 18. August. 5 Uhr nachmittags Abfahrt zur Feuerstellung, in der wir um 1 Uhr nachts anlangten. Die Batterie stand 2 km nördlich Mörchingen. Um 1 Uhr 30 nachts eröffneten die Franzosen ein heftiges Feuer. Salve folgte auf Salve, die Maschinengewehre traten in Tätigkeit. Bei der Batterie erfuhr ich, daß Unteroffizier Friedrich durch einen Schuß ins Becken verwundet worden war. Dieser Tag war für die Batterie ein sehr heißer, den ganzen Tag war sie heftigem Artilleriefeuer ausgesetzt, das aber infolge des schlechten Schießens der Franzosen nur wenig Schaden zufügte. Auf der Rückfahrt nach Pertring sahen wir die feindlichen Stellungen südlich Mörchingen. Einen schauerlich schönen Anblick boten die zwei brennenden Dörfer in der Nähe von Mörchingen. Turmhohe Feuersäulen stiegen zum Himmel. Auf der Straße trafen wir viele Flüchtlinge aus Mörchingen, welche den Ort verließen, weil nachmittags eine französische Granate einschlug und 1 Frau und 2 Kinder tötete. In Parting bezogen wir Unterkunft. Schon früh morgens begann eine heftige Kanonade. Um 5 Uhr 30 angekommen legte ich mich schlafen. Kaum war ich 5 Minuten gelegen, da weckte mich meine Hausfrau mit der Nachricht, es würden französische Gefangene durch den Ort geführt. Nichts wie in die Hosen, um sie zu sehen, aber leider Gottes es waren verwundete Deutsche. Leute vom 17. und 18 Infanterie- und 5. Reserveregiment.
19. August. Den ganzen Tag und die Nacht gefahren. Weder Mann noch Pferd fanden Ruhe und fast nichts zu essen.
20. August. Erste siegreiche Schlacht der Bayern auf der ganzen Linie, fluchtartiger Rückzug des Feindes gegen Chateau-Salines. Viele Opfer hat es die braven Bayern gekostet, um so größer der Ruhm und die Ehre. Besonders hatten die Jäger, das 18. und das 5. Reserveregiment gelitten. Das 18. Regiment schmolz auf 2 Batallione zusammen. Von mancher Kompanie kehrten nur 80 – 90 Mann unverwundet zurück. Noch größer waren die Verluste des Gegners. Haufenweise lagen die Franzosen in den Schützengräben. In einem zählte man annähernd 700 Mann. Sobald die Kolonnen aus dem Wäldchen vorbrachen, wurden sie von unseren Maschinengewehren und Kanonen niedergemäht. Besonders hatten die 1. und 2. Batterie des 5. bayerischen Feldartillerieregiments große Erfolge beim Beschießen der feindlichen Infanterie. Immer wieder drangen neue feindliche Kräfte vor, aber auch sie verfielen dem Schicksal ihrer Kameraden. Mit ihren roten Hosen boten sie unseren Schützen ein gutes Ziel. Gegen Nachmittag war die feindliche Macht gebrochen und nun gab es kein halten mehr. Der Rückzug artete zu wilder Flucht aus. Jetzt trat die gesamte Artillerie und das Maschinengewehr in Tätigkeit und brachte den Fliehenden schreckliche Verluste bei. Das ganze Schlachtfeld war ein großer Friedhof. Tausende von Toten bedeckten das Feld, ebenso auch Verwundete. Ein Bild des Jammers und des Elends. Schwerverwundete baten, man möchte sie doch durch eine Kugel von ihrem Leid erlösen. Hier konnte man die Schrecken des Krieges in ihrer ganzen Fürchterlichkeit kennen lernen. Hier lag ein Hauptmann, den Säbel in der Rechten, den Revolver in der Linken, gefallen als er seine Kompanie zum Sturm vorführte. Dort zerschossene Fahrzeuge und tote Pferde, alles durcheinander. Die Verfolgung wurde sofort aufgenommen.
22. August. Die zweite Schlacht fand 1 km südlich von Mairi statt. Es kostete wieder viele Opfer, aber der Sieg war unser. Hier traten auch die französischen Schiffsgeschütze in Tätigkeit, welche große Verheerungen anrichteten. Schrecklich verstümmelte Leichen fand ich, war nicht zu beschreiben. Luneville gefallen. Allgemeine Begeisterung. Mußte später aber wieder geräumt werden. Quartier in Athionville. Erstes Bett nach 10 Tagen. Luneville mit ca. 10 000 Einwohnern ist sehr eintönig gebaut, macht einen wenig guten Eindruck, Garnisonsstadt. Schönes Schloß mit Kasernen, in deren Mitte das Denkmal eines französischen Generals stand. Athionville war über die Hälfte abgebrannt. Die Läden und Wohnungen von den Franzosen geplündert und fast alles verwüstet. Unsere Leute taten sich gütlich an französischem Wein. Schön war der Anblick, als die ersten gefangenen Franzosen an uns vorüberzogen. Um so trauriger der der Verwundeten, die auf Wagen vorbeigefahren wurden.
23. August. Am Nachmittag fand die Beerdigung der bei Mairi Gefallenen statt. Zuerst sprach der katholische Feldgeistliche Dr. Fooh, dann der protestantische Pfarrer Kleinmann. Beide hielten herzergreifende Ansprachen. Kein Auge der anwesenden Krieger, ob Offizier oder Mann, blieb ohne Tränen.
24. August. Gefecht bei Remenoville. Hier Ruhmestag der Batterie. Schrecklich die Verluste, doch größer der Ruhm und die Ehre. Leutnant Regula, Vizefeldwebel der Reserve Schulze, 6 Unteroffiziere und 20 Mann teils schwer, teils leicht verwundet. 2 Gefreite mußten als nicht transportfähig zurückgelassen werden und fielen in französische Gefangenschaft, wo sie leider später starben. Hier fiel auch Fähnrich Breith aus Zweibrücken, Kanonier Keller und Dr. Janson. Mögen sie selig ruhen in fremder Erde.
25. August. Gefecht bei Saboville. 28. und 29. August Fortsetzung des selben. Auch hier hatte die Batterie größere Verluste. Starkes Granatfeuer den ganzen Tag. Wir hatten ein schönes Bett gebaut für Oberleutnant Müller und mich. Als am Nachmittag ein starkes Schießen begann, mußten wir unsere Befestigung schnellstens verlassen, um tiefer im Wald Schutz zu suchen.
1. September. Fortsetzung der Gefechte bei Framboise. Kanonier Eberle hatte einen Wagen und Küchengeschirr aufgetrieben, wodurch wir in den Besitz einer fast vollständigen Küchenausrüstung kamen, Stühle fehlten uns.
2. September. Fortsetzung des Gefechts. Heftiger Regen setzte ein. Kein Mann durfte sich dem Gegner zeigen, denn sofort folgte ein Hagel von Geschoßen. Während unseres hiesigen Aufenthalts mußten wir unser Kochwasser aus einer Pfütze holen, aus der kein Vieh gesoffen hätte, so gemein stank es. Die Folgen blieben aber auch nicht aus. Viele litten an Durchfall mit Blut vermischt, was furchtbare Schmerzen verursachte. Während des Löhnungsapells am 4. September begann ein sehr heftiges Schießen, daß ich mein Geld wieder einpacken mußte. Ungefähr 20 m vor uns schlugen schwere Geschoße ein. Wir suchten im Wald Deckung. Aber auch hier sollte unser Aufenthalt nicht lange währen, denn die Franzosen streuten über den ganzen Wald Granaten. Ich suchte Schutz hinter einem Baum, da schlug etwa 4 Schritt rechts von mir eine Granate ein. Die Leute riefen „unser Wachtmeister ist getroffen, andere: er ist tot!“ Gott sei Dank war es ein Blindgänger und so blieb ich durch Gottes Vorsehung unverletzt. Wie freuten sich alle, als sie mich unverwundet, nur etwas benommen antrafen.
8. September. Fortsetzung des Gefechts. Ein Fahrer wurde mit einstündigem Krummschließen bestraft, weil er 5 Stunden im Wald geschlafen hatte. Kaum eine halbe Stunde am Rad angebunden, begann eine heftige Kanonade, so daß ich ihm die Stricke zerschneiden mußte, denn keine 100 m vor uns und neben uns schlugen Granaten ein. Dank der schlechten Munition der Franzosen hatten wir keine Verluste. Unter 15 Schuß zählten wir 12 Blindgänger. In Framboise entdeckten wir am 7. September zwei unterirdische Telefonleitungen, mittelst derer die Bewohner sämtliche Stellungen und Bewegungen unserer Truppen dem Feinde gemeldet hatten. Nun war es klar, warum jede Truppe, die sich zeigte sofort unter Feuer genommen wurde. Die Verräter wurden erschossen. Hierauf bedienten sich die Bewohner einer anderen List. Sie ließen Hunde mit Blechbüchsen am Halsband an den Gegner abgehen. Doch auch das wurde bald entdeckt und sämtlichen Hunden der Garaus gemacht. Die Nacht vom 8 – 9 September war kalt, uns fror elend, da der Boden naß und nur wenig Stroh vorhanden war. Hier holte ich mir Rheumatismus. Am 9. September machten die Franzosen einen Ausfall aus Toul, wurden aber mit blutigen Kämpfen zurückgeschlagen. Sie hatten furchtbare Verluste. Vergebens versuchten sie jeden Tag aus Nancy zwischen Framboise und Mayon durchzubrechen. Im Walde hatten wir uns aus Wellen eine Hütte gemacht, die sich gut zum Schlafen eignete. Auch am folgenden Tag dauerte der Kampf noch an. Der ganze Boden war von feindlichen Geschoßen durchwühlt. Ich maß ein Loch einer schweren Granate, dasselbe hatte eine Tiefe von 6 m und eine Breite von 4 m. Ein Reiter mit Pferd hätte bequem darin Platz gefunden. Die Fußartillerie erhielt einen Volltreffer, der das Geschütz wie einen Gummiball zurückwarf. Am 11. September mittags erfuhren wir, daß die Batterie aus dem Feuer zurückgezogen wird. Jeder von uns strahlte vor Freude, sollten wir doch endlich einmal nach 5 Wochen wieder zur Ruhe kommen, nachdem wir schwere Gefechte und Schlachten mitgemacht. Um 8 Uhr abends fuhr ich mit den Protzen vor in die Stellung. Um den Gegner zu täuschen, wurde seit 7 Uhr abends ein starkes Infanterie- und Artilleriefeuer unterhalten. Es regnete in Strömen. Die Batterie trat den Rückmarsch an. Durch den vielen Regen war der Boden vollständig aufgeweicht und stellenweise ganz sumpfig. Ein schweres Gewitter entlud sich über uns. Es war so finster, daß man nicht die Hand vor dem Gesicht sah. Nur die zuckenden Blitze erhellten auf kurze Zeit unseren Weg. Dazu das Rollen des Donners mit 1000fachem Echo im Walde. Als wir kaum 1000 m gefahren waren, hielt die Batterie. Nach Verlauf von 20 Minuten ritt ich vor, um nach dem Grund zu sehen. Doch was sah ich hier? Unser Küchenwagen war bis zur Hälfte eingesunken. Da er nicht mehr fortzubringen war, war rasches Handeln am Platze. Ich ließ ihn in den Graben werfen, um die Straße frei zu bekommen. Kaum war die Batterie 600 m weitergefahren, da brachen die ersten Geschütze ein und blieben stecken. Da auch die Infanterie zurückgezogen wurde, waren wir ganz mutterseelenallein im Walde und auf uns selbst angewiesen. Ein Infanteriehauptmann und ein Artillerieoffizier gaben die Batterie verloren, da der Gegner jeden Augenblick nachdrängen konnte. Sie meldeten es meinem an der Spitze ziehenden Chef, daß die Batterie im Walde halte und als verloren gelte. Aber so schnell und leicht sollte es den Franzosen nicht gemacht werden, uns gefangen zu nehmen. Jeder hätte sein Leben so teuer als nur möglich verkauft, dessen war ich mir sicher. Mit dem Revolver in der Hand drohte ich jeden niederzuschießen, der sein Geschütz verlasse. Keiner machte eine Mine dazu, die Leute arbeiteten wie die Löwen, hing doch ihr Leben davon ab, die Batterie so schnell als möglich herauszubekommen. Als mein Chef zurückkam und die Batterie in dieser mißlichen Lage sah, war der gute, ruhige Mann wie erschlagen, war es doch keine Kleinigkeit für ihn die Batterie verloren zu geben, nachdem sie sich all die Tage her so vorzüglich bewährt hatte. Ich machte mich daran, jedes einzelne Geschütz mit 10 Pferden heraus zu bekommen, was mir endlich auch nach langer Mühe und vieler Arbeit auch gelang. Doch nicht lange sollte meine Freude währen. Glaubte ich ein Geschütz auf der einen Seite heraus zu haben, so brach es auf der anderen wieder ein. Einen Munitionswagen, der zu tief im Dreck stack, mußte ich liegen lassen. Endlich waren wir auf einem etwas besseren Fahrweg angelangt, als von links her ein Zug der Maschinengewehrkompanie kam, der auch stecken blieb und mir somit den Weg versperrte. Ich mußte nun auch diesem Vorspann leisten. Endlich gelang es mir doch, die Batterie heraus zu bringen. Die Mannschaften arbeiteten aus Leibeskräften; noch nie hatte ich sie so arbeiten gesehen. Sie standen bis zu den Knien im Dreck und machten die Räder frei. Nachts um 2 Uhr konnten wir die Notbrücke überschreiten, nachdem sämtliche feste Brücken zum Sprengen fertig gemacht waren, um das Nachdrängen des Gegners aufzuhalten. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich die Batterie in Sicherheit hatte. Wäre es mir nicht gelungen, so hätte ich für mein Leben keinen Pfennig mehr gegeben. Mein Chef bedankte sich herzlich und gab mir 20 Mark und sagte mir, daß er mich für meine Leistung bei der nächsten Gelegenheit zur Auszeichnung vorschlagen werde. Ich bekam dann auch das Eiserne Kreuz II. Klasse. Die Offiziere gratuliertern mir zur vollbrachten Tat und der Herr Hauptmann war sichtlich gerührt, als er mir seine Anerkennung aussprach. Wir marschierten die Nacht hindurch und den folgenden Tag bis 12 Uhr nachts. Bei strömendem Regen kamen wir am 12. September in St. Medard bei Dieuze an, schliefen vollständig durchnässt auf einem Heuboden. Hatten wir uns alle auf ein gutes Glas Bier und ein Bett gefreut, so fiel dieses ins Wasser. Als wir durch Dieuze fuhren und sahen, wie den Soldaten das Bier schmeckte, lief uns das Wasser im Munde zusammen. Hier wurden zum ersten mal von den Schwestern des Roten Kreuzes Liebesgaben verteilt: Kaffee, Tee, Milch, Brot und vieles mehr. Ich bekam einige Stückchen Zucker für mein Pferd. Von einem auf der Straße stehenden Briefträger erhielt ich einige Bonbons. Hier erfuhren wir nachts 10 Uhr, daß wir noch 8 km ins Quartier hätten.
Am 13. September 5 Uhr morgens wecken, 6 Uhr marschbereit, bei strömendem Regen Aufbruch nach Fremery. Endlich nach 4 Wochen zum ersten mal wieder ein Bett, das ich mit meinem Freund, dem Wachmeister Schuster, ein Mann von 51 Jahren, teilte. So hatten wir wenigstens wieder einmal Gelegenheit, unsere müden Glieder ausruhen zu lassen. Wir kauften uns Wein und einen Hahn, den wir zu dritt verzehrten. Hier bekamen wir Ersatz an Mannschaften und Pferden aus Landau, ebenso viele Gaben von unseren Lieben zu Hause, welche die Ersatzleute mitgebracht hatten. Jeder Mann bekam Zigarren, Zigaretten, Tabak und freute sich, so reichlich beschenkt worden zu sein. Überall fröhliche Gesichter. Hier hätten wir so 20 Tage Ruhe sollen genießen dürfen. Aber leider sollte es nicht so lange dauern. Wir kamen uns so recht als ein Wandervolk vor.
Am 15. September Marsch nach Grigy. Hier Unterkunft und Kanzlei in der Küche einer Frau, deren Mann im Feld stand. Ich schlief mit einem Unteroffizier auf dem Fußboden. Wir hatten hier sehr schlechtes Wetter und blieben hier bis zum 18. September.